Wie Erhardt+Leimer dank Krise zum Global Player wurde
Viele Menschen kennen E+L als Adresse für Elektroinstallationen. Doch das ist längst nicht mehr Kerngeschäft des Unternehmens.
„Ja, ich bin stolz“, gibt Hannelore Leimer zu, als sie auf ihr Unternehmen und dessen Geschichte angesprochen wird. Seit 100 Jahren existiert die Firma Erhardt+Leimer in Augsburg bereits und hat sich in dieser Zeit von einer kleinen Feinmechanik-Werkstatt zu einem international tätigen Unternehmen entwickelt. Der Bereich Elektroinstallationen, den der Bürger mit dem Namen Erhardt+Leimer sofort in Verbindung bringt und der der Ursprung des Unternehmens war, macht dabei nur noch einen kleinen Teil des Erfolgs aus. Das eigentliche Kerngeschäft ist längst eine Nische der Automatisierungstechnik, wo die Kunden kaum in Augsburg, dafür aber in aller Welt sitzen.
Vor 100 Jahren hat Manfred Erhardt das Unternehmen gegründet
„Es ist irgendwie unglaublich, was seit Firmengründung alles passiert ist und geleistet wurde“, fasst Hannelore Leimer zusammen. So richtig bewusst geworden sei ihr das, als sie anlässlich des 100-jährigen Jubiläums intensiv in der Firmenchronik geblättert hat. Dort steht geschrieben, wie Manfred Erhardt 1919 seinen Handwerksbetrieb für Vertrieb und Service von Industrie-Uhren und Signalanlagen gründete, wie Albert Leimer 1924 als Mitarbeiter einstieg, 1943 zum Partner wurde und 1964 in Eigenregie übernahm. Wie er schon früh als Kompetenzträger im Unternehmen feinmechanische Apparate für die Textilindustrie entwickelte und den Aufschwung der Branche für das Wachstum seines Unternehmens nutzte.
Es ist aber auch vermerkt, wie die Firma gezwungen war, sich neue Arbeitsfelder zu suchen, als eben diese Textilindustrie zugrunde ging. Wie sich die gezwungenermaßen neu erfundenen Techniken aus Augsburg weltweit einen Namen machten und sich das Unternehmen unter der Führung von Gründertochter Hannelore Leimer, die 1977 übernahm, zu einem Global Player entwickelte. Heute ist das Unternehmen mit Hauptsitz in Stadtbergen bei Augsburg ein internationaler Anbieter von Automatisierungs-, Mess- und Inspektionstechnik für die Produktion von bahnförmig hergestellten Materialien. Erhardt+Leimer hat drei Standorte in Augsburg und Stadtbergen, 19 Niederlassungen im Ausland und weltweit 1600 Beschäftigte (davon rund 700 am Stammsitz). Der konsolidierte Jahresumsatz lag 2018 bei 185 Millionen Euro.
So könnte E+L von der E-Mobilität profitieren
Ausruhen darf man sich auf diesen Lorbeeren nicht, findet Michael Proeller, Neffe von Hannelore Leimer, seit 1996 im Unternehmen und seit 2009 Geschäftsführer. „Ich will das Geleistete schätzen, aber eher als Basis für unsere Zukunft sehen. Nach dem Motto: Was wir bisher Gutes geschafft haben, gelingt uns auch weiterhin“, sagt der Mann mit den eisblauen Augen. Eine Strategie, die dem Unternehmen schon in der Vergangenheit zugutekam. Denn der frühe Blick in die Zukunft hat Erhardt+Leimer zu dem gemacht, was es heute ist. Schon bevor die Textilindustrie in Augsburg auf dem absteigenden Ast war, ist dem Familienunternehmen gelungen, was andere Firmen nicht geschafft haben: Sich neu auszurichten, ohne dabei die eigenen Wurzeln zu verlassen.
„Es war über Jahre abzusehen, dass die Textilindustrie abwandert. Es war aber auch klar, dass es für uns keine Rolle spielen darf, wo die Kunden sitzen, sondern dass wir bei ihnen sind“, erklärt Hannelore Leimer. So entstand schon vor 45 Jahren die erste Auslandsniederlassung in Brasilien, damals ein großes Wagnis, wie die 81-Jährige erzählt. „Wir haben nicht wie heute üblich eine umfangreiche Marktanalyse gemacht und getestet, ob sich eine Niederlassung lohnt. Sondern die Entscheidungen waren eine Mischung aus gesundem Verstand und Bauchgefühl“, sagt die Chefin.
Doch nicht nur die Expansion ins Ausland hat Erhardt+Leimer davor bewahrt, mit der Textilindustrie unterzugehen. „Der Wandel hat uns dazu gezwungen, umzudenken“, sagt Proeller. Die Techniken von Erhardt+Leimer, die an Maschinen die Regelung von Materialien übernimmt, die an laufenden Bahnen produziert werden – wie eben Stoff – können auch anderswo eingesetzt werden, erkannten die Verantwortlichen. So suchte man frühzeitig andere zukunftsträchtige Märkte, die die Technik „made in Augsburg“ brauchen konnten.
Dazu gehörten die Folienindustrie, die Reifenindustrie, aber auch die Druck- und Papierindustrie. Überall dort, wo bahnförmige Materialien produziert und weiterverarbeitet werden, steckt heute Technik von Erhardt+Leimer in den Maschinen. Das reicht vom Druck der Tageszeitung, über die Produktion von Dekorfolien bis zur Herstellung von Laufbändern. Nicht zuletzt schob der wachsende Onlinehandel das Geschäft des Unternehmens an. „Es wird immer mehr Verpackungsmaterial wie Wellpappe oder Folie gebraucht. Alles Stoffe, bei deren Herstellung unsere Technik zum Einsatz kommen kann“, sagt Proeller. Diese Entwicklungen seien Megatrends, die dem Unternehmen zu Wachstum verholfen haben und weiteres Potenzial bieten. Die wichtigsten Märkte der Zukunft seien Indien und China.
Familienbetrieb: Vierte Generation ist noch im Kindergarten
Wachstum ist ein klares Ziel von Proeller. Es sei der Schlüssel für weiteren Erfolg. Dabei folgt er jedoch dem Credo „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ und will sich auf Nischen konzentrieren, die man mit den eigenen Kompetenzen und Ressourcen gut besetzen kann. Dazu gehören Zukunftsmärkte wie gedruckte Elektronik (etwa für Touch-Displays) und die E-Mobilität. Denn auch die in Batterien enthaltenen Separatorfolien werden in bahnförmigem Zustand verarbeitet. In der Sparte Elektroanlagen liegt der Fokus auf intelligenten Stromnetzen und Smart Home (digitale Vernetzung elektronischer Komponenten im Gebäude).
Die Weichen für die Zukunft werden also erneut frühzeitig gestellt, das Feld für die vierte Generation vorbereitet. Doch noch ist die im Kindergartenalter und das Thema Firmenübernahme weit entfernt. Ohnehin: „Zwingen kann man niemand zu dieser Aufgabe. Man kann nur positiv einwirken“, sagt Hannelore Leimer. Auch wenn sich die ehemalige IHK-Präsidentin wünschen würde, das Unternehmen bliebe in Familienbesitz. Sie sagt: „Nach 100 Jahren hängt man an der Tradition des Familienunternehmens. Die Firma geht einem unter die Haut, sie ist das ganze Leben.“ Und genau das scheint einer der Gründe zu sein, warum die Firmenchefin noch so lange wie möglich aktiv im Unternehmen mitwirken will.
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