Aleviten über "Tatort" entsetzt
Als die Tatortfolge "Wem Ehre gebührt" über Inzest und Mord, verquickt mit Glauben, in einer alevitischen Familie über den Bildschirm flimmerte, fühlten sich 6000 Augsburger tief verletzt. So viele Aleviten leben in unserer Stadt. Sie stammen aus der Türkei, gelten gerade wegen ihres Glaubens, bei dem Menschenliebe im Mittelpunkt steht, als tolerant und gut integriert; überdurchschnittlich viele haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Einer von ihnen ist Grünen-Stadtrat Cemal Bozoglu - Landessprecher der Aleviten in Bayern. Sein Kommentar: "Diese Form der Darstellung ist schlimm."
Unter den Aleviten - der Sitz des alevitischen Kulturvereins ist das unlängst eingeweihte Versammlungshaus in Lechhausen, das die Gemeinschaft selber finanzierte und baute - ist der Krimi, gegen den jetzt Klage wegen Volksverhetzung eingereicht wurde, natürlich Thema. Bozoglu bekam einige Anrufe deswegen, unter anderem von einem Vater, der so schockiert war, dass er nicht einmal mehr mit seiner Tochter über das Thema reden konnte. Das Schlimme sei, dass der Krimi - "wahrscheinlich aus Unwissenheit" - jahrhundertelange Vorurteile von fanatischen Muslimen gegen die lange verfolgten Aleviten bestätige und dann auch noch als "Lösung" den "strengen Islam" präsentiere. Für die deutsche Öffentlichkeit, die wenig über die Glaubensrichtungen in der Türkei weiß, sei schwer verständlich, wie tief so etwas verletzen kann.
Bozoglu: "Natürlich kann auch ein Alevit so etwas tun, aber es ist nicht richtig, es mit dem Glauben in Verbindung zu bringen." Aleviten gelten ihm zufolge bei strengen Moslems als eine Art Ketzer, weil Männer und Frauen den Gottesdienst gemeinsam feiern - daher das Inzest-Gerücht. Dabei sind die Geschlechter gleichgestellt, Frauen tragen kein Kopftuch und sind emanzipiert. Auch in Augsburg sind sie in mehreren Migrantengremien engagiert. Bozoglu: "Natürlich gibt es aus der türkisch-patriarchalischen Gesellschaft übernommene Lebensweisen, aber die haben nichts mit dem Glauben zu tun."
Der Dachverband der Aleviten in Deutschland hat laut Bozoglu versucht, die Ausstrahlung zu verhindern bzw. die Ausstrahlung einer Stellungnahme vor oder nach der Sendung durchzusetzen. Doch der NDR habe nur versichert, demnächst eine Diskussionrunde mit Aleviten zu bringen. Daher hält Bozoglu die Demonstrationen am 29. Dezember in Köln für durchaus angebracht. Man müsse sich nur vorstellen, ein Medium hätte derartige Vorurteile im jüdischen Milieu angesiedelt... "Politik Seite 7
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