Eine eigene Welt in Augsburg: "Das Leben im Ulrichsviertel ist entspannt"
Es sind nicht nur die historischen Häuser, die das Ulrichsviertel besonders machen. Bei einem Streifzug durch die Gassen stößt man auf Menschen und Geschichten.
Am Roten Tor, wo die Autos auf der Torwall-Straße vorbeibrausen und Straßenbahnen halten, braucht es nur wenige Schritte in eine andere Welt fernab des städtischen Trubels. Hier gibt es Kopfsteinpflaster, verwinkelte Gässchen, Bänke vor hölzernen Haustüren, alte Schilder oder Aufschriften an Hauswänden, die an früheres Handwerk erinnern. Das Ulrichsviertel zeichnet sich nicht nur durch historische Häuser, Geschichte und die Puppenkiste aus. Es sind auch die Bewohner, wie Peter Salewski oder Ulrike Staudacher-Danner, die es besonders machen. Auf einen Streifzug durch das Altstadtviertel – mit überraschenden und sorgenvollen Begegnungen.
Samstagmittag herrscht Leben im Ulrichsviertel, das zwischen Eserwall, Rotem Tor und der Basilika St. Ulrich und Afra liegt. Fahrradfahrer sind in der verkehrsberuhigten Spitalgasse unterwegs, eine Stadtführerin hält mit ihrer Gruppe vor pittoresken Häusern und erzählt deren Geschichten. In der kleinen Kirche St. Margareth wird ein Gottesdienst vor nur drei Besuchern abgehalten, im veganen Café "Emmi's Kitchen", dem ehemaligen Striese, hingegen ist kein Sitzplatz mehr frei. Beim späten Frühstück wird gemütlich ins Wochenende gestartet. Obwohl das Ulrichsviertel klein und überschaubar wirkt, wohnen hier immerhin knapp 5000 Menschen. Das Zusammenleben ist ein besonderes, erklärt Ulrike Staudacher-Danner.
Straßenfest im Ulrichsviertel ist ein Besuchermagnet
Die 61-Jährige muss es wissen. Schließlich ist sie im Vorstand des Ulrichsvereins, der sich mit seinen Mitgliedern seit den 80er-Jahren für das Viertel einsetzt. Alle zwei Jahre organisiert er das Ulrichsstraßenfest, das immer mehr Zulauf an Besucherinnen und Besuchern aus ganz Augsburg erfährt. "In unserem Viertel haben wir einen guten Querschnitt an Familien, Kindern, Studenten und Senioren", erzählt Staudacher-Danner. Das Leben sei entspannt. "Das liegt sicherlich daran, dass sich hier alle wohlfühlen. Wer einmal im Ulrichsviertel lebt, der möchte hier nicht mehr weg."
Wie etwa auch Noodaeng Ruf, dabei plagen die gebürtige Thailänderin mit ihrem asiatischen Laden in der Spitalgasse derzeit Sorgen. Ruf gehört mit ihrem kleinen Geschäft fast schon zum Ulrichsviertel wie die schräg gegenüberliegende Puppenkiste. Seit über 26 Jahren verkauft sie alles, was man für die thailändische Küche braucht. Ihre selbst gemachten Frühlingsrollen, die sie nur freitags und samstags anbietet, gelten als legendär. Die 57-Jährige spricht von einem "zufriedenen Leben" im Viertel. "Nachbarn und Umgebung sind einfach nett, ich fühle mich hier wohl und sicher. Und wenn ich mal gestresst bin, besuche ich den Kräutergarten oder gehe in den Siebentischwald, der nicht weit weg ist. Das beruhigt mich." Gut, dass sie diese nahe gelegenen Kraftorte hat. Denn sie sorgt sich um die Zukunft ihres Ladens.
Zum Alltag dieses Augsburgers gehört das Kopfeinziehen
"Seitdem der große Asia-Supermarkt in der Bahnhofstraße aufgemacht hat, ist mein Umsatz gesunken", erzählt die Einzelhändlerin, die Tag für Tag alleine in ihrem Geschäft steht. Manchmal, sagt sie, wisse sie nicht mehr, wie es weitergehen soll. "Gott sei Dank habe ich nach wie vor meine Stammkunden." Nachbarschaft und Unterstützung wird im Ulrichsviertel großgeschrieben. Das weiß auch Peter Salewski. Wir treffen ihn zufällig im Saurengreinswinkel mit dem kleinen Platz, in dessen Mitte sich eine Bank an einen Baum schmiegt.
Allein in der Gasse mit dem seltsamen Namen und in der benachbarten Kirchgasse stehen 18 Baudenkmäler. Darunter viele alte Handwerkerhäuser, die die Augsburger Bombennacht unbeschadet überstanden haben. Während das nahe gelegene Quartier rund um die Bäckergasse bis zur Dominikanerkirche schwer getroffen wurde, brannten im Ulrichsviertel nur wenige Häuser. "Reihenweise Weber haben einst hier gelebt", erzählt Salewski. Der Augsburger wohnt seit 35 Jahren in einem denkmalgeschützten, renovierten Haus. Zu Salewskis Alltag gehört das Kopfeinziehen.
"Die Türen in der Wohnung sind kleiner als ich und es gibt viele Balken. Aber man gewöhnt sich daran", sagt der einstige Lehrer und lächelt. Hervorragend lebe es sich in dem Viertel, das vor seiner Sanierung bei den Augsburgern "Scherbenviertel" genannt wurde. "Damals sah es hier noch grauenhaft aus", erinnert sich der 74-Jährige.
Beliebte Wohngegend in Augsburg seit der Sanierung
Es war im Jahr 1979, als Ulrichs- und Lechviertel zum ersten Sanierungsgebiet der Stadt Augsburg erklärt wurden. Die schmalen Gassen wurden zu verkehrsberuhigten Zonen, historische Bachläufe aufgedeckt. Die Verbesserung des Wohnumfelds kristallisierte sich dabei als wichtigster Investitionsanreiz heraus, weiß man beim Ulrichsverein. Längst sei es schwierig, hier eine Wohnung zu finden. Zu den größten Errungenschaften der Sanierung zählt für Peter Salewski die Tiefgarage, die die Stadt unter einem beträchtlichen Teil des Viertels erbaut hatte.
Über verschiedene Zugänge finden Anwohnende hinunter zu ihren Fahrzeugen. Während Salewski erzählt, grüßt er freundlich einen jungen Mann, der aus einem der Häuser im Saurengreinswinkel kommt. "Wir haben eine sehr gute Nachbarschaft", erklärt er. "Hier duzt jeder jeden, egal wie alt, man hilft sich, dazwischen tummeln sich Kinder, ein- bis zweimal im Jahr grillen wir zusammen." Der Pensionist beobachtet, wie eine Stadtführung vor dem Haus gegenüber hält. "Es gilt als das schmalste Haus Augsburgs", kommentiert er. Tatsächlich ist eine Seite des Gebäudes keine vier Meter breit. Übrigens ranken sich um die sperrige Adresse Saurengreinswinkel offenbar mehrere Mythen.
"Es gibt die Erzählung, dass hier einst jemand wohnte, der mit Milch und Sauerrahm handelte", weiß Peter Salewski. Eine andere Geschichte wird aus dem Augsburger Stadtarchiv überliefert. Demnach lebte hier im Mittelalter ein gewisser Hans Saurengrein. Er war vom Ammersee nach Augsburg gekommen, um dem Weberhandwerk nachzugehen. Zudem soll Hans Saurengrein in seinem Viertel ehrenamtlich als Gassenhauptmann tätig gewesen sein. Neben dem Erfassen sämtlicher Informationen zu Getreidevorräten, Wehrfähigkeit und Waffenbesitz, soll er auch kleinere polizeiliche Aufgaben wahrgenommen haben.
Heute noch wird Engagement im Ulrichsviertel großgeschrieben – inzwischen auch organisiert über viele WhatsApp-Gruppen, wie Ulrike Staudacher-Danner vom Ulrichsverein weiß. "Es gibt Nachbarschaftsgruppen, Gruppen für Foodsharing, Hundebesitzer oder das Straßenfest", zählt sie nur ein paar auf. Es ist eben ein besonderes Miteinander in diesem Viertel jenseits des Stadtverkehrs, der um das Rote Tor herumbraust.
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