Das Dilemma mit dem Glücklichsein – das zeigt die neue Ausstellung
Der Kunstraum am Pfarrhof in Leitershofen zeigt eine Sommerausstellung. Es geht heiter, leicht und hell zu in den Bildern von Isabelle Roth.
Es ist ja nicht so, dass die Kunst die Aufgabe oder Verpflichtung besitzt, einen Stachel zu setzen, den Betrachter zu verstören, ihn gar abzustoßen. Viel eher sucht sie die Ansehnlichkeit, die Weckung des Wunsches, immer wieder und möglichst immer wieder neu, als ein anderer, hinzusehen. Es gibt durchaus auch Kunst neben Picassos Appell: "Die Malerei ist nicht erfunden, um Wohnungen auszuschmücken! Sie ist eine Waffe zum Angriff und zur Verteidigung gegen den Feind." Es gibt durchaus auch Kunst neben Fritz Koenigs Auffassung "Die Wahrheit der Kunst liegt im Leid, das sie birgt." Und es gibt Kunst neben Arnold Schönbergs Verdikt "Wenn es Kunst ist, dann ist es nicht für die Menge! Und wenn es für die Menge ist, dann ist es nicht Kunst!"
Gleichzeitig gilt jedoch, dass Europas Kunst seit vielen Epochen danach trachtet, nicht nur etwas zu zeigen, sondern gleichzeitig etwas aufzuzeigen, das hinter dem Gezeigten steht. (Das Grundgesetz operiert in diesem Zusammenhang übrigens mit der Kunst als "Sinnerwartungsträger".) Ob in der Malerei, auf der Ballettbühne, in der Literatur: Die erzählte, die bloße Geschichte erhält ihren Wert, wenn sie als Gleichnis, Metapher, Parabel begriffen werden kann. Seit der Gotik waren Christentum, griechische Mythologie, Geschichte, das Seelenleben und zuletzt auch die Suche nach dem noch ungesehenen Existierenden (Abstraktion) Triebfedern der Kunst.
Bei Isabelle Roth kann das Leben schön sein
Nun stellt die 1969 in der Schweiz geborene Künstlerin Isabelle Roth, bis 2000 ausgebildet an der Kunstakademie München, im Leitershofer Kunstraum am Pfarrhof ihre Bilder aus, breitformatige Interieurs, kleine Stillleben. Alles, was an Motiven zu sehen ist, so darf man es sachlich zusammenfassen, besitzt positive Konnotation: die Blumen, Vasen und Früchte, der gedeckte Tisch, auch die Musikinstrumente wie Gitarre und Trommel, die Karofliesen-, Rauten- und Streifenmuster auf Boden, Tischdecke, Kleidung, schließlich Katze, Hund und zum Flug abhebende Vögel. Ein Fisch lächelt noch auf dem Servierteller, ein dösender Hund unter der gedeckten Essenstafel ebenfalls; die Katze schmiegt sich an jenen Stuhl, auf dem eine Frau – Gastgeberin oder Dienstmädchen? – Blumen zusammensteckt für eine Vase. Auch von dieser Frau, vielleicht ein Alter Ego Isabelle Roths, und von ihren auf Gäste wartenden Stühlen handelt diese Ausstellung.
Kein Zweifel: Hier wird illustriert, dass das Leben schön sein kann, heiter und leicht. Ob in der Kurzeinführung auf der Galerienwand, ob in der Vernissagenrede, ob im Text eines Katalogs zu Roths Bildwelt: Unisono werden die freundlichen, wenn nicht rosigen Stimmungen beschrieben, die aus den Öl-Acryl-Kohle-Arbeiten licht erstrahlen, oft in Himmelsblau. Die "Zuversicht" spielt eine Rolle, die "Lebensbejahung", der "Traum" und das "Glücklichsein". Kein Zweifel auch: Das ist ansehnlich – und mit starkem Hang hin zu schwelgerischer Poesie. Die Sonne des Mittelmeerraums leuchtet hochsommerlich.
Das Reizvollste an dieser Kunst ist ihre improvisatorische Vorläufigkeit
Die Mittel, die dafür eingesetzt werden, sind die der Malerei sowie der Zeichnung – mit Wirkung hin auch zum Graffito, luftigen Fresko. Der Akt des Malens, Übermalens, Retuschierens bleibt bewusst eingeblendet, nicht ringend allerdings, sondern spielerisch. Helles Beige, Braun, Grau korrespondieren mit dem Himmelsblau und den Gelb-Rot-Blau-Tönen der Früchte und Knabbereien auf dem absichtsvoll absichtslos gedeckten Tischen im stilvollen Haushaltsdekor. Indem aber die Zeichnung, das nicht kolorierte Motiv und zudem sich regelmäßig antirealistisch kreuzende Requisiten-Konturen diese Malerei bestimmen, suggeriert diese auch eine künstlerisch-improvisatorische Vorläufigkeit – wohl das Reizvollste an ihr.
Einst wären diese Bilder vermutlich als eine Mischung aus Stillleben- und Genremalerei betrachtet worden, Ansichten von Blumen-Früchte-Arrangements, Ansichten häuslicher Sitte. Wobei einst hinter dem Blumenstillleben nicht selten der Vanitas-Gedanke in Andeutung stand und hinter der Genre-Darstellung das Laster. Solche Kunst war doppelwertig. Bei Isabelle Roth bekommt der Betrachter heile Welt und Dekor. Das Gezeigte ist das Gezeigte, widerstandslos. Fragen, die sich stellen könnten, sind Fragen des Alltags – oder des Märchens: Wer wird mit diesem Löffel essen, wer wird auf diesem Stuhle sitzen, wer wird in diesem Bette schlafen? Diese Welt ist gewiss legitim leicht, locker und freundlich gefügt. So legitim leicht, locker und freundlich jedoch, dass deutlich die Gefahr vor Augen tritt, sich schneller als gedacht abzusehen am Glücklichsein.
Kunstraum am Pfarrhof Leitershofen, Bergstraße 3. Laufzeit bis 30. Juni. Geöffnet Sa. und So. von 15 bis 18 Uhr.
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