Achtung, Baustelle!
Augsburg ist die Stadt der Absperrungen, Schilder und Bagger – das sorgt für Stau, neue Einsichten und viele Geschichten: Sechs Kollegen erzählen, was sie zwischen Gruben und Gräben erleben
Einmal nach Landsberg, oder: Eine moderne Odyssee
Nennt mich Odysseus. Tagtäglich führt mich mein Weg berufspendelnd vom Textilviertel ins oberbayerische Landsberg am Lech. Tagtäglich irre ich durch rot-weiße Absperrbaken, über holperig zugeschüttete Baugruben, vorbei an den Sirenen der Moderne, den Umleitungstafeln, dem Ziel entgegen.
Die Odyssee beginnt in der Reichenberger Straße, Fahrtrichtung Westen. Westen? Geht nicht. Sie führt nur noch nach Osten, mit einer Spur, auf der der Bus hält (Warten!), Laster beladen werden (Warten!), Rohre herumliegen (Warten!), Bagger rangieren (Warten!). Und wenn das Auto rollt, tut es das hinter unüberholbaren Radlern, die sonst zwar aus Prinzip den Gehsteig benutzen, in der Baustelle aber plötzlich die Existenz von Verkehrsregeln entdeckt haben. Die Schleifenstraße wird über Firmenparkplätze und einen Schleichweg erreicht, vorbei an irrlichternden Auswärtigen, die doch nur wieder in einer Baustelle landen.
Fünf Minuten freie Fahrt enden – in der Baustelle. Haunstetter Straße – halbseitig gesperrt. Rumplerstraße Richtung Bundesstraße 17 – gesperrt. Die Umleitung führt – richtig! – durch eine Baustelle. Die zeitliche Aufteilung der 43 Kilometer langen Strecke: 20 Minuten, um die Stadt zu verlassen, 15 Minuten für den Rest. Dieter Mitulla
Die 64er macht gute Laune
So gute Laune hatte ich schon lange nicht mehr wie mit der Interims-Tramlinie 64. Augsburgers öffentlicher Nahverkehr war nichts als Stress und Ärger, seit ich auf die Tramlinie 6 umsteigen musste. Vorher war ich mit dem Bus in zwölf Minuten vom Textilviertel am Moritzplatz. Mit der Tram brauchte ich mindestens doppelt so lange, was nicht verwunderlich ist mit dem Umweg übers Rote Tor und Umsteigen am Kö. Dort fuhr mir die Anschluss-Tram zum Moritzplatz fast immer vor der Nase weg. Mit der Linie 64 ist Straßenbahnfahren für mich das Schönste. In rekordverdächtigen sieben Minuten ist man am Merkurbrunnen. So schnell schaffe ich es nicht mal mit dem Rad. Mit der 64er kann ich auch wieder durch die Maxstraße fahren. Der Anblick der Architektur ist atemberaubend. Mit der Tramlinie sind dort auch wieder viel mehr Menschen unterwegs.
Angenehmer ist auch die Heimfahrt. Ich schnappe mir die 2er oder 13er direkt vor dem Rathaus und steige dann an St. Margaret in die 6er um. Dort ist das Warten nicht so öde wie am Kö, wo oft recht schräge Gestalten herumlaufen. Im Wartehäuschen vor dem Seniorenheim trifft man dagegen ein angenehmes Publikum. Eva Maria Knab
Und zur Not: Machen wir eine Scheinbaustelle
Wenn es eine Liga für Verkehrsbaustellen in Deutschland gäbe, würde Augsburg (trotz Micky-Maus-Etats) erstklassig spielen und nie gegen den Abstieg. Wenn andernorts eine Großbaustelle eingerichtet wird, werden Umleitungsschilder angebracht. Hierzulande geht man anders mit solchen Situationen um: Sobald der Verkehr neue Wege gefunden hat, werden dort die nächsten Baustellen aufgemacht. Denn niemand wird gezwungen, ins Auto zu steigen, und besser ist sowieso der, der es nicht benutzt.
Wer trotzdem fährt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nachdem die ganze Innenstadt in ein Kö-bedingtes Labyrinth von Bauzäunen, Baken und gelben Straßenmarkierungen verwandelt wurde, gehen die Kanalarbeiten in der Müllerstraße in die zweite Runde, wird die Rumplerstraße neu asphaltiert. Und der Verkehr und man selbst sucht ständig neue Schleichwege.
Dazu passt dann bestens ins Bild, was ein Nachbar (Architekt) neulich erzählt hat. Er habe mit jemandem vom Tiefbauamt gesprochen. Es ging um den Schleichverkehr, der in unserer Straße im Textilviertel zugenommen habe. Ob man da nicht etwas machen könne. Die Antwort: Klar könne man etwas machen, da werde man demnächst einfach eine Scheinbaustelle einrichten, um den Verkehr zu beruhigen. Auch das noch! Richard Mayr
Kein Zentimeter für Radler
Es soll sie in Augsburg noch geben, die Wege ohne Baustelle. Zum Beispiel die Memminger Straße. Kein Stopp-Schild, keine Absperrung. Ein anderes Bild zeigt sich in der Alpenstraße. Bauwagen, Gitter, aber weit und breit kein einziger Arbeiter. Diesen trifft man auch an der Nagahama-Allee bei der City-Galerie nicht an. Trotzdem ist für Radler die Straße plötzlich gesperrt. Absteigen und schieben, heißt es dann zähneknirschend. Ganz auf den Gehweg muss man in der Reichenberger Straße ausweichen, auf ganzer Länge ist sie halbseitig gesperrt und für Pedalritter kein Zentimeter mehr Platz. Vieles ist ärgerlich, aber Augsburger Radler sind bekanntlich leidensfähig. Dass Autofahrer, wenn das Handy klingelt, gerne auf den Radstreifen fahren, dort stehen bleiben, um in aller Ruhe ihre Gespräche zu führen, wundert den genervten Zweiradfahrer auch nicht mehr wirklich. Lilo Murr
Ein entspanntes Biotop in der Hermannstraße
Die Baustelle ist ein Segen, zumindest grundsätzlich. Seit der Königsplatz für Autos und Trams dicht ist, entwickelt sich die Hermanstraße zu einem entspannten Biotop für Fußgänger und Radler (und Autofahrer, die dem Navi mehr trauen als allen Schildern). Stille statt Stau, Platz statt Kolonnenverkehr und eine Aussicht: Auf dem Kö ist immer was los und der Bauzaun ein beliebter Ort zum Verweilen. Super-Baustelle, oder?
Ja, es radelt sich besser und entspannter in die Stadt. Das liegt an den Menschen, die sich rund um den Kö zwischen den Absperrungen hindurchschlängeln. Sie suchen sich ihre Pfade, denn große Tafeln haben nur die Autofahrer bekommen, klar. Ich habe meinen Weg gefunden. Erst war es das Beethovenviertel (liebe Anwohner: Als Radler bin ich schleichendster Schleichverkehr). Jetzt ist es ein improvisiertes Zickzack am Kö. Keine Ahnung, ob das so geplant war. Aber wir verstehen uns. Wir, das ist die Schicksalsgemeinschaft, die die Konrad-Adenauer-Allee überquert. Danach ist die Baustelle für mich erledigt, das Ziel fast erreicht. Es läuft, irgendwie. Marcus Bürzle
Das Leid des Straßenbahn-Fans im Ersatzbus
Auch bei den Fahrern scheint es nicht der beliebteste Job zu sein. „Noch eine Runde B1, dann ist es für heut’ endlich geschafft“, sagt der Busfahrer am Freitagmittag zu einem Kollegen, der bei ihm steht. So geht es auch mir, einem überzeugten Straßenbahn-Fan. Es war bisher so schön, mit der Tram – oder liebevoller: dem Einserle – vom Rathausplatz in Richtung Göggingen zu fahren. Jetzt macht es keinen Spaß mehr. Zugegeben: Die Stadtwerke geben sich alle Mühe. Die Ersatzbusse B1 kommen regelmäßig, lange warten muss man fast nie, auch einen Sitzplatz findet man fast immer. Aber der Komfort: Es holpert, rappelt, röhrt. Und dann macht der B1 erst einmal eine Rundfahrt durchs Bahnhofsviertel, ehe er sich endlich in Richtung Göggingen bewegt. Meist geht die Fahrt sogar trotz des Umwegs um den Kö herum relativ schnell. Doch gefühlt dauert es eine halbe Ewigkeit. Jörg Heinzle
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