Kein Geständnis
Der mutmaßliche Doppelmörder von Krailling spricht erstmals im Prozess. Er weist die Schuld von sich, schulmeistert die Ermittler und erzählt seine seltsame Version der Tatnacht
München Er redet – und die mit Spannung erwartete Aussage sorgt tatsächlich für überraschtes Raunen im Gerichtssaal. Es ist aber keineswegs ein Geständnis. Der Angeklagte weist alle Vorwürfe weit von sich, erhebt Vorwürfe gegen die Ermittler, wirft Zeugen Falschaussage vor – und verwickelt sich dann in Widersprüche. Fast auf den Tag ein Jahr nach dem grausamen Tod von Chiara, 8, und ihrer Schwester Sharon, 11, hat ihr wegen Mordes angeklagter Onkel am Dienstag vor dem Münchner Landgericht damit sein bisheriges Schweigen gebrochen.
An diesem 13. Prozesstag hätte ursprünglich das Urteil fallen sollen, doch der 51-Jährige wollte überraschend aussagen. Mit einem zentimeterdicken Stapel Papier betritt er den Schwurgerichtssaal. In dem kurzärmligen blauen Hemd, das er an fast allen Prozesstagen auch im klirrend kalten Winter trug, stellt er sich gelassen den Fotografen.
Dann beginnt er zu lesen. Ohne Pause hechelt er durch den vorbereiteten Text. „Ich bin nicht der Täter, aus einem einzigen Grund: So etwas macht man nicht. Man tötet keinen Menschen.“ Der verschuldete Onkel, selbst Familienvater, soll die Kinder in der Nacht zum 24. März 2011 in deren Wohnung in Krailling bei München brutal mit einem Seil, einer Hantelstange und einem Messer ermordet haben. Die Anklage wirft ihm vor, er habe auch die Mutter der Kinder töten wollen, um so einen Erbstreit zugunsten seiner eigenen Ehefrau zu entscheiden.
Entgegen der Anklage habe er keine Wunde an der Nase gehabt, die von einem Kampf mit den Kindern hätte stammen können, sagt der Onkel. Der angebliche Schorf sei mit einem schwarzen Filzstift auf einem Foto eingemalt worden. „Als Tipp für das nächste Mal: Schorf ist braun“, sagt der Postbote an die Adresse der Ermittler. Er sei in der Tatnacht nicht in Krailling gewesen, sondern habe zur Tatzeit mit seiner Frau im Bett gelegen. „Dass ich in der Tatnacht nicht in Krailling gesehen wurde, liegt ausschließlich daran, dass ich nicht in Krailling war.“
Im Zuschauerraum sitzen Angehörige. Die Großmutter der ermordeten Mädchen schüttelt den Kopf. Eine Frau hat ihr Gesicht tief in den Händen vergraben, sie weint. „Das ist alles Unsinn, was er sagt“, sagt eine andere Frau aus dem Umfeld der Familie.
Er habe Nasenbluten bekommen, sagt der Angeklagte
Der Angeklagte muss nun vor allem erklären, wieso seine DNA-Spuren überall in der Wohnung der Schwägerin und der Mädchen waren, obwohl die Familien praktisch keinen Kontakt hatten. Er sagt, er habe die Schwägerin besuchen und über den Verkauf einer Wohnung sprechen wollen, die ihr und seiner eigenen Frau gehörte. Die Schwägerin sei nicht da gewesen, er sei mit Sharon in die Wohnung gegangen, habe Nasenbluten bekommen.
Auf der Suche nach einer Kleiderstange, die seine Frau schon länger von ihrer Schwester zurückhaben wollte, sei er durch die Wohnung gelaufen. Sharon habe einen Eimer Wasser gebracht, um das Blut aufzuwischen – was beim Gericht Verwunderung hervorruft. Einen Tropfen Blut würde er nicht mit Wasser noch verteilen, sagt der Vorsitzende Richter Ralph Alt. Die Äußerungen des Angeklagten wirkten etwas „dünn“, sagt der Beisitzende Richter Thomas Lenz. Ob es denn sein könne, dass die Geschichte von dem Nasenbluten „ein ganz ein großer Schmarrn“ sei. Nein, versichert der Angeklagte.
Die Staatsanwaltschaft sieht nach dem Auftritt keinerlei Zweifel an ihrer Mordanklage. „Aus unserer Sicht ist das in keiner Weise glaubwürdig“, so Oberstaatsanwältin Andrea Titz. „Wir gehen weiter von seiner Täterschaft aus.“ Die Anwälte der Mutter und des Vaters der Kinder, die Nebenkläger sind, sehen das auch so. (Sabine Dobel, dpa)
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