Innenstadt wegen Einsturzgefahr evakuiert: "Dann stehst du da - ohne alles"
Nach der Evakuierung von acht Häusern in der Memminger Innenstadt darf vorerst nur ein Teil der Bewohner zurück. Der Oberbürgermeister bangt um ein Denkmal.
Nur etwa zehn Meter trennen die Häuser von Anita Zinsmeister und Hildegard Quarata. Dazwischen liegt ein durchgängiger Garten – keine Hecken, keine Zäune. Und doch war dieser Garten am Donnerstagabend eine unüberwindbare Grenze für Anita Zinsmeister.
Die 53-Jährige gehört zu den 35 Menschen, die ihre Wohnungen in der Memminger Innenstadt verlassen mussten, weil das denkmalgeschützte Färberhaus einzustürzen drohte. Als Zinsmeister nachmittags vom Einkaufen kam, traf sie auf eine Straßensperre der Polizei: Sie dürfe ihr Haus nicht mehr betreten, hieß es. „Dann stehst du da: ohne Klamotten, ohne alles. Wir konnten ja nichts mitnehmen“, erzählt sie. Ein komisches Gefühl sei das gewesen. „Es hat mich ein bisschen an Krieg erinnert. Man muss weg und weiß nicht, wann man wieder kommt. Das Schlimme ist das Ungewisse.“
Zinsmeister kam bei ihrer Freundin Hildegard Quarata unter – zusammen mit ihrem Mann und dem ebenfalls von der Evakuierung betroffenen Schwager. Auch dessen Hund und das Meerschweinchen von Dekan Christoph Schieder fanden dort Unterkunft. Ein Hotelzimmer war für Zinsmeister keine Option: „Wenn du eh nichts hast, gehst du doch zu Leuten, die du kennst“, sagt sie. Bei Quarata habe sie sich beispielsweise Jacke und Hose ausleihen können. Abends kochten die beiden Frauen Kaffee für die Freiwilligen von Feuerwehr, Rettungsdienst und Technischem Hilfswerk. „Die waren schon viele Stunden draußen und durften ja nicht von ihren Plätzen weg“, erzählt Hildegard Quarata.
Häuser evakuiert: Viele Fragen sind in Memmingen noch offen
Am Freitagvormittag durfte Zinsmeister erstmals kurz zurück in ihre Wohnung, holte Kleidung und Medikamente. Zugleich waren am Tag nach der Evakuierung von acht Häusern in der Memminger Innenstadt noch viele Fragen offen. Die wichtigste: Wie konnte es so weit kommen?
Dem Sohn der Eigentümerin des Färberhauses war aufgefallen, dass der Kamin auf dem Dach schräg stand. Eine Baufirma stellte schließlich fest, dass der Dachstuhl einsturzgefährdet sei. Die Stadt Memmingen ordnete daraufhin die Evakuierung an, am frühen Abend wurde ein Teil des Dachstuhls kontrolliert zum Einsturz gebracht. Aus dem Rathaus hieß es am Freitag, die bayerische Bauverordnung sehe es nicht vor, dass der Zustand von Privathäusern von Kommunen geprüft wird.
Auch nicht, wenn es sich um denkmalgeschützte Gebäude wie das Färberhaus handelt. Dafür sei der Eigentümer verantwortlich. Die Bauaufsicht könne erst tätig werden, wenn konkrete Gefahren vorliegen. „So etwas wie einen TÜV für Häuser gibt es nicht“, erklärt Oberbürgermeister Manfred Schilder.
Einsturzgefahr: Das Memminger Färberhaus stammt aus dem 15. Jahrhundert
Wie geht es nun weiter? Am Freitag begann der Aufbau eines zweiten Krans, am Samstag soll der Dachstuhl nach und nach abgetragen werden. Dann muss geprüft werden, ob es weitere Schäden am Färberhaus gibt. „Davon ist leider auszugehen“, sagt Schilder. Das oberste Ziel sei es jedoch, das Gebäude aus dem 15. Jahrhundert zu erhalten. Jetzt schon über Bauarbeiten, deren Dauer, Kosten und mögliche Fördermittel zu sprechen, sei verfrüht.
Das Färberhaus, ein direktes Nachbargebäude und das gegenüberliegende Dekanatshaus bleiben vorerst gesperrt. 15 Personen müssen weiterhin in den Notunterkünften, also bei Verwandten, in städtischen Liegenschaften oder Hotels, ausharren. Die anderen 20 Menschen aus den übrigen fünf evakuierten Häusern konnten am Freitag im Laufe des Tages in ihre Wohnungen zurück.
Haus in Memmingen einsturzgefährdet: Erinnerungen an ähnlichen Fall in Augsburg
In Augsburg gab es vor wenigen Monaten einen ähnlich gelagerten, aufsehenerregenden Fall, als ein Haus evakuiert werden musste. Im November des Vorjahrs mussten über Nacht 21 ältere Bewohner ein einsturzgefährdetes Haus verlassen.
Am Tag danach erfuhren vier Geschäftsleute, dass sie ihre Geschäftsräume nicht mehr dauerhaft betreten dürfen. Bei den Untersuchungen des Gebäudes zeigte sich: Die Schäden sind so massiv, dass ein Wiedereinzug erst im Januar 2020 möglich ist. Die alten Bewohner sind gegenwärtig in städtischen Alten- und Pflegeheimen untergebracht. Die Geschäftsleute haben Ausweichquartiere gefunden. (mit möh)
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