Richard Brox - Ohne festen Wohnsitz aber mit Tipps im Netz
Richard Brox ist ein Entwurzelter. Er lebt von 12,50 Euro am Tag und engagiert sich doch für andere. Im Internet gibt er Überlebenshilfen. Sein größter Wunsch ist heute ein Zuhause.
Richard Brox spricht viel über Grundsätzliches – über Toleranz, Respekt und Zivilcourage zum Beispiel. Ohne diese Werte gebe es keinen Frieden und keine Freiheit. Wenn man ihn so reden hört mit seiner Mannheimer Sprachfärbung, und staunt, wie viel er zu erzählen hat, vergisst man schnell, aus welchem Milieu er stammt. Dass er in einer Gegend groß geworden ist, „die selbst die Polizei meidet“, dass er nur wenige Jahre zur Schule ging und keine Berufsausbildung hat.
„Wer mich nicht kennt, verspottet mich“, sagt er. Der müde Ausdruck, die Bartstoppeln, der schleppende Gang – das sind wohl die stigmatisierenden Merkmale. Dabei ist er ordentlich gekleidet. Jeans und Weste sind sauber. Eine Woche lang hat er zuletzt bei einer Familie in Landsberg gewohnt. Das Bett der Tochter war gerade frei. Doch spätestens am Montag wird er weiterziehen müssen. Er weiß noch nicht wohin. „Ohne festen Wohnsitz“ steht in seinem Personalausweis.
Vielleicht kann er sich am Sonntag noch den Eins-zu-Eins-Talk auf Radio Bayern 2 um 16.05 Uhr anhören. Brox wird in der Sendung interviewt, weil er ein besonderer Obdachloser ist. Einer, der sich für andere einsetzt, und deshalb für den Engagementpreis des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen nominiert wurde.
Der 49-Jährige nutzt das Internet. Informationen, die Brox auf seinen Web-Seiten verbreitet, erleichtern anderen Obdachlosen, Suchtkranken und HIV-Positiven das Leben. Es sind Adressen von ordentlichen Schlafplätzen, von Entzugs- und Hilfseinrichtungen, die er selbst in seiner 30-jährigen Karriere als Obdachloser und ehemals Drogenabhängiger kennengelernt hat.
Die technischen Kenntnisse hat er, wie so manches in seinem ruhelosen Leben, einem glücklichen Zufall zu verdanken. Junge Leute in einem Internetcafé in Berlin, in dem er sich 1999 nur aufwärmen wollte, für 50 Pfennig pro Stunde, brachten ihm die Grundbegriffe bei. Vielleicht machten sie sich einen Spaß daraus. Er aber sog das Neue begierig auf.
Seine erste kostenlose Website auf beebworld.de nutzte er zwischen 1999 und 2004 nur als Tagebuch. Den Anstoß für eine Informationsplattform gab die Wut, die er nach Weihnachten 2005 in Gotha in Thüringen empfand. Er sei dort netten Leuten begegnet, aber niemand konnte ihm eine Unterkunft nennen. So musste er „Platte“ machen – also im Freien schlafen. Die Tipps, die er daraufhin nach und nach ins Netz stellte, wurden tausendfach abgerufen. Denn auch Obdachlose gehen regelmäßig ins Internet, twittern und sind bei Facebook. Anschluss haben sie zum Teil in Notunterkünften. Oder sie geben etwas von den 12,50 Euro pro Tag, die sie am jeweiligen Aufenthaltsort bekommen, in Internetcafés aus.
Seine Internetaktivitäten machten Richard Brox „berühmt“. 2008 wurde er Ratgeber des Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff, als dieser die Obdachlosigkeit in Deutschland unter dem Titel „Unter Null“ dokumentierte. Obwohl ihm Wallraff danach eine Wohnung in Köln vermittelte, hat er es nicht geschafft, sesshaft zu werden. Als Jugendlicher war er aus einem Heim geflohen und ist seitdem entwurzelt wie schon seine Eltern – der Vater war ein Widerstandskämpfer, die Mutter eine Halbjüdin, die den Holocaust überlebt hatte.
Er sei „ein Trottel“ gewesen, als er die Wohnung aufgab, sagt er heute. 2009 wurde er bei Colmar überfallen und so schwer verletzt, dass Nerven im Rücken geschädigt wurden. Größter Wunsch des gesundheitlich Angeschlagenen ist ein Zuhause „nicht in einem sozialen Brennpunkt“ und eine Arbeitsstelle, vielleicht in der Obdachlosenhilfe.
Richard Brox im Internet
Obdachlosigkeit Die Angaben über die Zahl der Betroffenen gehen je nach Quelle weit auseinander. Nach Informationen des Lobbyisten Richard Brox sind in Deutschland 400 000 Menschen ohne festen Wohnsitz registriert. Die Dunkelziffer sei aber hoch.
Unterkünfte Auf seiner Plattform ohnewohnung-wasnun.de veröffentlicht Brox, unterteilt nach Bundesländern rund 900 Adressen, die nach seinen Erfahrungen ordentliche Unterkünfte bieten. Weitere Informationen gibt er unter der Adresse woundwie.blog.de
Suchthilfe und Aids-Hilfe Von der Plattform ohnewohnung-wasnun.de führt ein Link zu Beratungs- und Therapieeinrichtungen; insbesondere zu Einrichtungen des Deutschen Ordens, der Kooperationspartner der Website ist. (ela)
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