Botschaftenaus der Welt der Wäsche
Das Textilmuseum in Augsburg zeigt die Kulturgeschichte der Unterhosen – seriös, aber mit vielen pikanten Details
Schon erstaunlich, was Männerunterhosen so alles über ihre Träger verraten. Nehmen wir das Modell „Walter“. Das grau gemusterte Teil aus Feinripp zählt zu den meist verkauften Slips für Herren. Laut Umfrage tragen es vorwiegend Männer über 50 Jahre, die SPD wählen.
„Walter“ ist nur ein amüsantes Beispiel. Eines von vielen, das in einer neuen Sonderausstellung des Textil- und Industriemuseums in Augsburg zu sehen ist. „Reiz und Scham – Kleider, Körper und Dessous“ lautet das Motto der Schau. Sie verspricht einen unterhaltsamen Spaziergang durch die Kulturgeschichte der Unterwäsche seit 1850. Start ist am morgigen Freitag.
Spätestens jetzt muss man aber sagen: Herrenunterhosen spielen bei diesem sinnlichen Thema nur eine Nebenrolle. Das ist auch kein Wunder. Die Marktforschung zeigt, wenn sich Männer einmal für einen Unterhosentyp entschieden haben, bleiben sie diesem Jahrzehnte lang treu. „Wir Männer sind modetechnisch leider ziemlich langweilig“, bedauert Museumschef Karl Borromäus Murr.
Anders die Frauen. Sie machen sich viele Gedanken darüber, wie sie aussehen. Aber auch, wie sie von anderen gesehen werden. Die Philosophie, die dahinter steht, erklärt Murr so: „Kleidung macht aus dem natürlichen Körper einen sozialen Körper.“ Sie spiegelt die Normen und Werte einer Gesellschaft wider. In der Moderne sei Mode zum Ausdruck eines sich immer schneller wandelnden Zeitgeistes geworden.
Immer aber ist die Geschichte der Dessous verbunden mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Im 19. Jahrhundert trugen die Damen bis zu zwölf Schichten Kleidung: Hemd, Unterhose, mehrere Unterröcke, Mieder, Reifrock und das Kleid darüber. Bis zu acht Meter Umfang hatten solche Roben. Bewegen konnten sich die Frauen kaum noch. Selbst zum Hinsetzen benötigten sie einen Mann, der ihnen den Stuhl an den Tisch rückte. Ein modisches Muss war übrigens das Korsett. Je schmaler die Taille, umso besser schienen die Heiratschancen. Für Mediziner war das ungesunde Kleidungsstück ein großes Ärgernis. Schädigte die gewaltsam geschnürte Wespentaille doch die inneren Organe. Frauen litten an Atemnot und Bleichsucht.
Buchstäblich aufatmen konnten Frauen in der Zeit ab 1900. Das quälende Mieder war out. Mit der fortschreitenden Industrialisierung wurde die Kleidung bequemer und praktischer, denn auch Frauen mussten in den Fabriken arbeiten gehen. Die sogenannte Reformbewegung forderte die Befreiung des Körpers vom einengenden Korsett. Modisch erlaubt waren nun nackte Arme und Beine, tiefe Ausschnitte und knielange Röcke. Der Charleston-Look ließ seiner Trägerin die nötige Freiheit beim Tanzen. 1921 riet die Elegante Welt: „Die moderne schlanke Silhouette (…) muss ehrlich erarbeitet und im sportlichen Bemühen erworben sein.“
Mehr Halt war erst wieder in den 1950er Jahren gefragt. Dior zelebrierte mit dem „New Look“ eine neue Weiblichkeit. Spitztüten-BHs und stramme Mieder halfen nach, Frau in Form zu bringen. Gesellschaftlich stand damit jedoch die Rückkehr zu den traditionellen Rollenbildern auf der Agenda.
Natürlicher werden durfte der weibliche Körper erst wieder in den 1960er und 70er Jahren. Sexuelle Revolution, Studentenbewegung, Flower-Power, Emanzipationswelle – die Wäscheindustrie reagierte mit elastischen, transparenten Büstenhaltern. Triumph warb mit dem Slogan: „Körper ist Mode. Wenn man ,Happy Body‘ trägt, fühlt man sich nackt und frei.“
In den 80er Jahren setzten sich dann die Karrierefrauen mit ihren Designerkleidern durch, frei nach dem Motto „Dress for Success“. Erst 1990 verschaffte Popdiva Madonna dem Korsett ein Comeback. Bei einer ihrer Touren trug sie ein goldfarbenes Exemplar von Modeschöpfer Jean-Paul Gaultier und sorgte damit für Skandale. Ansonsten hielten in dieser Zeit funktionale atmungsaktive Materialien Einzug in die Welt der Unterwäsche. Und heute? Heutzutage gilt modisch mehr denn je: Alles ist erlaubt.
All diese Epochen und Trends sind Thema der Augsburger Sonderschau. Das Textilmuseum zeigt Hunderte von Originalen: Ballkleider, Sport- und Strandanzüge, Dessous in allen Variationen, dazu Modejournale, Fotos, Accessoires und Filmausschnitte. Mal werden sie in einem erotisch anmutenden Kabinett präsentiert, mal in einem Wäscheladen der 50er Jahre aus Bonn, in dem früher Politiker wie Herbert Wehner und auch Diplomaten einkauften. Die Exponate sind eingebettet ins gesellschaftliche und politische Umfeld. Sie zeigen aber auch, wie in jeder Epoche die Grenzen von Reiz und Scham neu ausgelotet wurden. Wann durfte Frau Knie zeigen? Wann durfte die Brust durch die Bluse schimmern?
Nicht zuletzt spielen die erotischen Phantasien von Männern eine Rolle. Klischees vom Vamp beispielsweise, von der Sexbombe oder Femme fatale. Bert Brecht beklagte 1938: „Unsere Frauen haben Gefühle, aber keinen Hintern.“
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