Wenn die junge Blondine sich als Pädophiler entpuppt
Winona (9) ist schockiert. Sie will nie wieder einen Internet-Chatraum besuchen. In einer der vielen virtuellen Quasselbuden des weltweiten Datennetzes traf sie auf einen Gesprächspartner der unangenehmsten Sorte: "Er hat geschrieben, ich soll meinen Finger in meine Scheide stecken und so. Ich werde nie mehr chatten!"
Von unserem Redaktionsmitglied Ronald Hinzpeter, München/Mainz.
Winona (9) ist schockiert. Sie will nie wieder einen Internet-Chatraum besuchen. In einer der vielen virtuellen Quasselbuden des weltweiten Datennetzes traf sie auf einen Gesprächspartner der unangenehmsten Sorte: "Er hat geschrieben, ich soll meinen Finger in meine Scheide stecken und so. Ich werde nie mehr chatten!"
Von solchen Zusammenstößen auf der Datenautobahn bekam Friedemann Schindler in jüngster Zeit recht viel zu hören. Der Mainzer Medienpädagoge ist Leiter der Organisation . Nachdem sich dort die Beschwerden über sexuelle Belästigungen in Chaträumen gehäuft hatten, befragte er zusammen mit Kollegen 200 Kinder nach ihren Erfahrungen. Das Ergebnis dieser Studie, die diese Woche vorgestellt wird, ist erschreckend: 160 Buben und Mädchen berichteten, sie seien beim Chatten schon mal grob angemacht worden - und das waren noch die harmloseren Zwischenfälle. "Wir waren überrascht, wie viele wirklich belästigt worden sind", sagt Schindler.
Vor allem in solchen virtuellen Treffpunkten, in denen Surfer aller Altersschichten unter der Tarnkappe eines selbst gewählten Spitznamens miteinander plaudern, komme es schon beinahe automatisch vor, dass jemand mit einem kindlich klingenden "Nicknamen" beleidigt werde. Schindler: "Die müssen Sachen lesen wie "Verpiss dich, du Schlampe, du Hure, du Nutte"." Die Studie zitiert ein 13-jähriges Mädchen mit folgenden Erfahrungen: "Man wird oft blöde angemacht. Es fragen viele, ob jemand Cybersex will oder so. Und wenn man sagt, dass sie damit aufhören sollen, beschimpfen sie einen. Die Wörter will ich hier lieber nicht sagen."
So verletzend die Beleidigungen für Kinder sein mögen, die zweite Variante an Übergriffen ist weitaus gefährlicher. Vor allem junge Mädchen bekommen häufig Angebote, die an Deutlichkeit nicht zu überbieten sind. Chatter mit eindeutig pädophilen Neigungen pirschen sich unter falscher Identität ("Ich bin 13 und interessiere mich für Pferde") an die oft arglosen Kinder heran und fragen sie nach ihrer körperlichen Entwicklung und nach ihren sexuellen Erfahrungen aus ("Hast du schon mal ge...?"). Sie schicken pornografische Bilder, bitten um Nacktfotos, getragene Unterwäsche oder bieten auch mal für eine Entjungferung 300 Euro. Wie aus der Studie hervorgeht, lassen sie sich nicht gleich abschrecken, wenn sie eine Abfuhr bekommen. Hartnäckig drängen sie weiter.
Zwar sind die Opfer ebenso wie der Angreifer durch die Anonymität des Spitznamens geschützt. Doch nicht wenige lassen sich einwickeln: Jedes siebte Kind gibt laut Studie Daten wie die Telefonnummer, die E-Mail-Adresse oder den Namen preis. Das findet Albert Bischeltsrieder höchst gefährlich. Der Leiter des Dezernats Fahndung am Landeskriminalamt München (LKA) warnt: "Früher hat man den Kindern gesagt, sie sollen sich nicht von einem so genannten guten Onkel ansprechen lassen oder gar mitgehen. Das gilt auch fürs Internet." Diese Art von Belästigung habe leider deutlich zugenommen. Immer wieder gelinge es Straftätern, persönliche Daten aus ihren Opfern herauszulocken. Das kann zu dauerhaften Belästigungen per E-Mail, SMS oder Telefon führen.
Nicht selten lassen sich Kinder zu einem Treffen überreden, wie das die Mainzer Studie dokumentiert. Dabei erschienen keine "gleichaltrigen Freunde", sondern stets erwachsene Männer. Das kann fatale Folgen haben: Der 15-jährige Murat Yildiz aus Asbach-Bäumenheim im Kreis Donau-Ries lernte vergangenes Jahr seine beiden Mörder in einem Chat-Raum kennen. Anfang Februar wurde im Freistaat ein 14-jähriges Mädchen vergewaltigt, das seinen Peiniger beim Chatten kennen gelernt hatte. Eine kanadische Untersuchung ergab, dass 97 Prozent der pädophilen Täter versuchen, im weltweiten Netz einen Kontakt zu möglichen Opfern herzustellen.
Trotz der Tarnnamen besteht eine gute Chance, Chat-Ferkeln und schlimmeren Konsorten auf die Schliche zu kommen. Beim Münchner LKA patrouilliert eine Spezialtruppe durch das Netz. Sie hat bei ihren Fahndungen schon eine Reihe von Erfolgen vorzuweisen, denn jeder Surfer zieht eine Spur von Daten hinter sich her. An die heften sich Bischeltsrieders Internet-Cops. So kamen sie beispielsweise einem 50 Jahre alten Pädophilen aus dem Ruhrgebiet auf die Schliche. Er hatte sich als Blondine von 21 Jahren ausgegeben und mit einem Jugendlichen aus der Schweiz einen sehr drastischen Flirt begonnen. Der Vater des Buben wurde aufmerksam und alarmierte die Münchner Spezialisten.
Die Mainzer Studie führt jedoch nicht nur die Gefahren vor Augen, denen Kinder beim Surfen ausgesetzt sind, sie hat auch viele Chaträume untersucht und auf ihre Tauglichkeit hin abgeklopft. Schindler: "Die wichtigste Erkenntnis war, dass es Chats gibt, in denen Kinder gut aufgehoben sind und gefahrlos hingehen können." Wichtig ist nach Einschätzung von Schindler, dass sie gut moderiert sein müssen. Das bedeutet: Der Schriftverkehr wird überwacht. Sobald jemand aus der Rolle fällt und anzüglich wird, bekommt er entweder eine Verwarnung oder den digitalen Tritt: Er wird rausgekickt. Die Organisation fordert deshalb die Anbieter solcher Treffpunkte auf, ihrer Sorgfaltspflicht entsprechend nachzukommen.
Das bayerische Familienministerium hat sich an den Kosten der Studie beteiligt, die als Broschüre mit dem Titel " " vorliegt. Sie enthält nicht nur das Untersuchungsergebnis, sondern auch viele Tipps, was sich gegen Sex-Attacken im Netz tun lässt. Familienministerin Christa Stewens betonte gegenüber unserer Zeitung, zum Schutz der Jugendlichen halte sie die gedruckten Handreichungen für "immens wichtig".
Die Diskussion ist geschlossen.