Mit dem "Gottkönig" meditiert
Modisch gekleidet, lässig einen Schal um den Hals gebunden, locker auf einem Tisch sitzend. Nichts erinnert daran, dass er vor einigen Jahren am Abgrund stand. Der Mann, offensichtlich mit einer großen Portion Humor ausgestattet, ist Gast in der Buchhandlung Rupprecht in Donauwörth, um sein neues Buch vorzustellen. 1991 waren es Sekunden, die das Leben des Stephan Kulle veränderten.
Nach einem Verkehrsunfall lautete die Diagnose der Ärzte "Querschnittslähmung". Doch Kulle gab nicht auf. Sein Studium der Theologie nahm er noch im Rollstuhl wieder auf. Der überzeugte Katholik kennt den Vatikan wie kein anderer, war mit Papst Benedikt XVI. schon auf dem Trimmrad und hat nun für ein weiteres Buchprojekt seinen Fokus auf den zweiten großen Religionsführer in dieser Welt gerichtet: den Dalai Lama.
40 Tage hat Kulle in dessen Klöstern gelebt, 400 Seiten darüber geschrieben. Wer bei der Lesung in Donauwörth in Gedanken versunken den Autor nicht immer im Blick hat, der weiß am Ende nicht mehr: Liest Kulle gerade einige Passagen aus dem Buch vor oder erzählt er in freier Erinnerung. Entstanden ist im Exil der Tibetaner in Mc Leodganj, dem oberen Stadtteil von Dharamsla in Nordindien ein interessanter, bisweilen anrührender Reisebericht.
Alle werden still
Im eigentlichen Kloster des Dalai Lama wohnte der Autor nur die kürzeste Zeit und ein Gespräch mit dem Religionsführer fand wegen dessen Gallensteinoperation gar nicht statt.
Dennoch gelingt es ihm, ein Bild des so beliebten Mannes zu zeichnen, den er ganz nah bei mehrstündigen Meditationen erlebt hat: "Er ist komisch, fast kindlich, doch im nächsten Augenblick wird er ganz still, alle werden still, er hält wie mit einer Hand das Karussell an", sagt Kulle. Der Dalai Lama habe die Fähigkeit, vom "quietschfidelen Mönch" zum "Gottkönig" zu wechseln und erst in diesem Moment erfahre man die ganze Person.
Ganz frei von Journalisteneitelkeit im Scholl-Latour-Stil nimmt Kulle die Besucher der Lesung mit auf seine Reise, lässt sie mitfühlen, wie er zunächst frustriert vom Gestank der kanalisationsfreien, heruntergekommenen Stadt und der ärmlichen "Unheiligkeit" sakraler Gebäude am liebsten wieder abgereist wäre, und taucht ein in die Welt der Lama-Hierarchie.
Milde im Umgang miteinander
Mit der Nummer 3, dem "Karmapa", habe er über die Auferstehung Christi gesprochen, über die Frage nach Gottes Gerechtigkeit in einer Welt voll Leid und über den Kernpunkt beider Religionen. Erstaunt habe er registriert, dass für "Karmapa" beispielsweise die Auferstehung glaubhaft sei, während er von Rom wisse, dass bei dieser Frage selbst Kardinäle "herumstottern". Und was sagt er den hohen katholischen Würdenträgern, wenn er in den Vatikan zurückkehrt? "Ich sage ihnen: Wenn ihr etwas von den Lamas lernen könnt, dann die Milde im Umgang miteinander." Das werde ernst aufgenommen, manchmal fast beschämt.
Kulles Fazit nach 40 Tagen: "Ich wollte mit den Mönchen des Dalai Lama leben, mit ihrer Glaubenspraxis. Dass ich erst völlig zerstört sein würde, damit habe ich nicht gerechnet. Aber auch nicht mit der Brüderlichkeit dieser Mönche. Ich bin weicher, sensibler zurückgekehrt."
Buch "40 Tage im Kloster des Dalai Lama", Stephan Kulle, 400 Seiten, Scherz Verlag Frankfurt.
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