Das Burgenland ist ein Geheimtipp für Feinschmecker
Ganz im Osten Österreichs scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: Wie gut ist das für Lebensmittel und Gasthäuser
Iris hatte uns noch gewarnt. Die Burgenländer, sagte die gebürtige Kärntnerin, die seit vielen Jahren in Deutschland lebt, die Burgenländer seien so etwas wie die Ostfriesen Österreichs. Ein bisschen eigenartig also, rückständig und verschroben – kurzum ein Menschenschlag, über den man im Internet eine Flut von Witzen findet. Ausgerechnet dorthin wollten wir nun fahren? Tatsächlich war das Burgenland, das erst nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie 1921 als ehemaliges Deutsch-Westungarn zur neuen Republik kam, lange Zeit das wenig beachtete Armenhaus Österreichs. Aber vielleicht zeichnet gerade das die Menschen in diesem Landstrich aus, der sich handtuchschmal vom Leithagebirge bis zur slowenischen Grenze erstreckt: Wer von wechselnden Moden verschont bleibt, kann erfolgreich seinen eigenen Weg finden.
So jemand hängt dann wie Johannes Pinterits einen sicheren Job beim ORF an den Nagel, um den Anbau von Safran am Neusiedler See neu zu beleben. Oder kultiviert wie der 26 Jahre junge Martin Pölzer in St. Andrä Artischocken, Physalis und 40 seltene Tomatensorten, um die sich die zahlreichen Feinschmeckerlokale aus der ganzen Umgebung reißen. Oder produziert wie Michael, Paul und Christian Ettl in Podersdorf generationsübergreifend Bioweine, unter deren Rebstöcken Klee, Gras und andere Kräuter Schutz vor Bodenerosion und Lebensraum für Insekten bieten.
Die „Burgenländisch-pannonische Küche“
Jetzt im Herbst, wenn die Ernte eingebracht ist, wird das Burgenland zum interessanten Reiseziel für Feinschmecker. Mehr als ein Dutzend Haubenlokale listet der Gourmetführer Gault Millau auf, über 70 Empfehlungen gibt die Feinschmecker-Zeitschrift Falstaff. Das kulinarische Spektrum dabei ist groß. Ganz zur „Burgenländisch-pannonischen Küche“ bekennt sich die Familie Lentsch, die seit vier Generationen das Gasthaus zur Dankbarkeit in Podersdorf betreibt. Seinen Namen verdanke es dem Urgroßvater, der in der Weltwirtschaftskrise sein Vermögen verloren und erst 1934 wieder genügend Geld beieinandergehabt habe, um sich voller Dankbarkeit den Lebenstraum eines eigenen Gasthauses zu erfüllen, erzählt Seniorchef Josef Lentsch. Auf der Karte findet sich Deftiges wie die Fischsuppe mit Zander aus dem Neusiedler See und der Schmorbraten vom Graurind, das für die Beweidung der Nationalparkflächen gehalten wird.
Am anderen Ende der Skala befindet sich der Taubenkobel in Schützen am Gebirge, eine der Topadressen österreichischer Gastronomie. Eveline und Walter Eselböck haben vor Jahrzehnten den Grundstein gelegt, Tochter Barbara führt gemeinsam mit ihrem Mann Alain Weissgerber, einem gebürtigen Elsässer, die kulinarische Tradition fort. Sie bescheren dem Gast überraschende Geschmackserlebnisse wie das Rhabarberparfait in Radicchioblättern und Waldmeistergelee, das ein mehrgängiges Menü mit Naturweinbegleitung beschließt.
Die ökologische Weinproduktion hat im Burgenland Tradition. Seit 500 Jahren in Familienbesitz ist das gerade 6,2 Hektar große Weingut von Alex und Maria Koppitsch in Neusiedl. Von jeher werden dort Naturweine produziert, seit 2006 im biodynamischen Anbau. Als das junge Ehepaar 2011 den Hof übernahm, reduzierten sie den Einsatz von Schwefel auf ein Minimum und verzichteten auf die Filtration, die den Weinen nicht nur Trübstoffe, sondern auch Geschmacksstoffe nimmt. „Wir wollen nicht mehr links oder rechts schauen. Wir machen das, was uns taugt“, sagt Maria Koppitsch. Und das mit Erfolg: Die nuancenreichen Naturweine mit Namen wie „Touch“ oder „Aeon“ gehen zu 98 Prozent in den Export und werden auf Fachmessen in der ganzen Welt prämiert.
„Wein ist etwas Emotionales“
Nicht weit entfernt, in Purbach am Leithagebirge, das den östlichen Abschluss der Alpen bildet, findet Birgit Braunstein das ideale Terroir für ihre hochwertigen Weine. Auf Schiefer, Muschelkalk und kristallinem Quarz erzeugt sie große Gewächse in Demeterqualität. „Wein ist etwas Emotionales“, sagt die 50-Jährige, die aus ihrer eigenen Bindung und Begeisterung keinen Hehl macht.
Mitten in ihren Weingärten hat Braunstein mit Blick auf den Neusiedler See einen Picknickplatz angelegt, an dem sie ihren Gästen Produkte und Herstellung näherbringt. Zur ganzheitlichen Betrachtungsweise gehört die Sorge um Flora und Fauna, aber auch die Beachtung von Sonne, Mond und Erde. Kamillentee sorgt für Ruhe im Weinberg, ein Aufguss aus Baldrian schützt im Herbst die Trauben vor Frost. Sprichwörtlicher Ausfluss dieser Philosophie ist der „Wildwux“ – einerseits ein Projekt zum Schutz der Artenvielfalt und der Kulturlandschaft, andererseits eine rote Cuvée aus Blaufränkisch, Zweigelt, St. Laurent und Merlot, die 15 Monate im Barrique und im Akazienfass reifen darf. So ist das Burgenland neben Niederösterreich inzwischen die wichtigste Weinregion Österreichs. Und zum Festtag des heiligen Martin, der auch Schutzpatron des Burgenlandes ist, öffnen viele Winzer ihre Türen: Beim Martiniloben wird rund um den Neusiedler See der junge Wein verkostet, denn etwa bis zum 11. November dauerte die Reifezeit des Rebensaftes. Dann lässt sich bereits erahnen, wie sich der Jahrgang entwickeln wird.
„Magst kosten?“, lautet die allgegenwärtige Frage, die eine Burgenland-Reise um diese Jahreszeit zu einem wahrhaft kostbaren Erlebnis macht. Zur Weinprobe werden allerhand Spezialitäten gereicht – Wurst vom Wasserbüffel, Gänseleber und Entenbrust zum Beispiel. Oder Schinken und Speck, den Richard Triebaumer in Rust produziert. Nicht weit von seinem Feinkostgeschäft am Rathausplatz werden die Mangalizaschweine gemästet, die zu den fettesten Schweinearten der Welt gehören. Dank ihres wolligen Fells können sie ganzjährig im Freien gehalten werden, wo sie langsam heranwachsen. Ende der 1990er Jahre gab es gerade noch 200 reinrassige Tiere, bevor in ganz Europa Erhaltungsprojekte gestartet wurden. Heute werden die Mangalizaschweine im österreichischen „Register der Traditionellen Lebensmittel“ als Kulturgut geführt.
„Das war immer mein Traum“
Unbedingt kosten sollte man auch den Ziegenkäse aus Rohmilch, den Monika Liehl in Parndorf herstellt. „Das war immer mein Traum, wenn ich mal in Pension bin“, erzählt die Wienerin. So lange sollte es freilich nicht dauern. Von ihrem Job in der Finanzbranche hatte sie schon bald genug und zog auf dem Hof, den die Großeltern ihres Mannes um 1900 gebaut hatten, eine Ziegenzucht auf. Waren es am Anfang noch 20 Liter, so verarbeitet sie gemeinsam mit ihrer Helferin Steffi in der Saison inzwischen täglich 60 bis 70 Liter Ziegenmilch zu verschiedenen Frischkäse-Variationen, Weich- und Hartkäse. Mit gleichgesinnten Anhängern der Slow-Food-Bewegung hat sie in einem alten Stadel den „Markt der Erde“ ins Leben gerufen, bei dem es Obst und Eingemachtes, Fleisch vom Steppenrind und vom Schaf, schwarze Nüsse, Sojaprodukte und vieles mehr zu kaufen gibt, was die Region bietet.
Als wir übrigens nach der Rückkehr unserer eingangs erwähnten Freundin Iris von den kulinarischen Freuden erzählten, wurde die Kärntnerin nachdenklich.
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