Er schaute regelmäßig Kinderpornos an – und wurde selbst missbraucht
Ein Rentner steht wegen des Besitzes von rund 180 Kinderporno-Dateien in Günzburg vor Gericht. Dann offenbart er: Er wurde jahrelang in einem Heim misshandelt.
Der Mann stützt seinen Kopf auf die Hände, er schaut verloren auf den Tisch. "Mir ist bewusst, dass es falsch war", sagt er. "Ich bedauere, was passiert ist. Es wird auch nicht wieder vorkommen." Was er damit gesteht: 171 Fotos von nackten Kindern, Mädchen in aufreizenden Posen, in der Badewanne, oder auch gefesselt, teils mit erwachsenen Personen, die das Kind sexuell missbrauchen, auf seinem USB-Stick gespeichert zu haben, weitere fünf Dateien auf dem Computer. Wie der Anklageschrift zu entnehmen ist, könnte das jüngste Opfer auf einem der Fotos etwa drei Jahre alt gewesen sein, alle anderen weit unter 14 Jahre. Und dann erzählt der Angeklagte aus dem Kreis Günzburg seine Geschichte, die das Urteil des Schöffengerichts in diesem Verfahren wesentlich beeinflussen wird: "Ich weiß, es klingt missverständlich", schiebt er voraus, er ist sich bewusst, dass das, was er gleich sagt, für die Personen im Saal unverständlich und abstoßend klingen wird. "Die Bilder haben mir geholfen."
Es ist nicht der erste Fall am Günzburger Amtsgericht, der von Besitzbeschaffung kinderpornografischer Inhalte handelt. Doch es ist ein ungewöhnlicher, wie sich schnell herausstellt. Denn auf der Anklagebank sitzt niemand, der diese Inhalte aus sexuellen Befriedigungsgründen konsumierte, sondern ein gebrochen wirkender Mann. Das legitimiere weder den Besitz noch die Härte dieser Fotos, wie Vorsitzender Richter Martin Kramer rund eineinhalb Stunden später in seinem Urteil sagen wird. Doch es kann ein Fehlverhalten zumindest teilweise erklären.
Mit zwölf Jahren kommt er ins Kinderheim, dort wird er jahrelang missbraucht
Sein Mandant leide an Depressionen, er werde deswegen auch behandelt, erklärt Anwalt Matthias Egger zu Beginn der Verhandlung. Seit 2016 sei der 63-Jährige in psychologischer Betreuung. Und seit Kurzem konnte er sich dort öffnen, da er vor langer Zeit "grenzüberschreitende Traumatisierungen erleben musste", so der Verteidiger. Auslöser dafür war die Hausdurchsuchung, bei der das belastende Material beschlagnahmt wurde. Egger übergibt das Wort an seinen Mandanten. Diesem fällt es sichtlich schwer zu berichten, es ist vielleicht das dritte Mal, dass er überhaupt darüber spricht: 1972 kam er in ein Kinderheim, nachdem er fünf Wochen im Krankenhaus gelegen hatte, weil ihn sein Vater schlug. Der Vater soll den Jungen damals als schwer erziehbar bezeichnet haben. Im Heim, das nicht in Bayern ist, soll der damals 12-Jährige dann "wiederholt über einen längeren Zeitraum von immer derselben Person" misshandelt worden sein, auch sexuellen Missbrauch habe es laut Schilderungen des Beschuldigten gegeben. Kramer möchte wissen, wie er darauf gekommen sei, dass Kinderpornografie bei der Bewältigung dieser Vorkommnisse helfe? Der Angeklagte überlegt lange und sagt dann, es habe ihn zufrieden gemacht zu sehen, dass andere Ähnliches erfahren. Er hätte diese Art Fotos zufällig gesehen und später allerdings gezielt nach diesen Internetseiten gesucht. Heruntergeladen habe er sich die Dateien, "um etwas zu haben, wenn die Albträume oder auch die Suizidgedanken kommen". Er habe sich die Fotos angeschaut, bis die Angstzustände weggingen, dann habe er die Datei meist wieder gelöscht.
Der Betreuer, der zur Unterstützung mitgekommen ist, berichtet dem Gericht von der Zeit nach der Durchsuchung: "Es war Thema, wie wir in Zukunft andere Wege finden, dass er mit dieser Belastung umgehen kann. Beim nächsten Termin mit dem Psychologen konnte er sich das erste Mal öffnen, es hat extrem viel Überwindung gekostet. Danach konnte man die Erleichterung sehen." Sei 2016 geht der 63-Jährige regelmäßig zur Therapie, wie ein Gutachten beweist, leide er unter anderem an Angststörungen, einem allgemeinen Überforderungsgefühl - und auch körperlich ist der Rentner eingeschränkt.
Kinderporno-Prozess in Günzburg: Urteil wird zur Bewährung ausgesetzt
Staatsanwaltschaft, Verteidiger und Schöffengericht sind sich einig, dass beim Angeklagten aufgrund der Traumatisierungen der Strafrahmen angepasst werden kann, da er als vermindert schuldfähig gilt. Die Staatsanwaltschaft plädiert für ein Jahr und acht Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung, während Verteidiger Egger meint, ein Jahr genüge. Nach einer kurzen Beratungszeit verkündet Kramer das Urteil des Schöffengerichts: Der 63-Jährige ist schuldig des Besitzes von Kinderpornografie und wird zu einem Jahr und fünf Monaten auf Bewährung verurteilt. "Es war kein harmloses Material und sie haben die Bilder gezielt und bewusst abgespeichert", argumentiert Kramer. "Doch durch ihre eigene Missbrauchserfahrung, die wir ihnen auch glauben, muss man hier anders mit umgehen." Zugutekommt dem 63-Jährigen auch sein frühes Geständnis und dass er keinerlei Vorstrafen hat. Er muss weiterhin zur Psychotherapie gehen. Für den Rentner ist das klar: "Ich denke, es wird noch ein, zwei Jahre dauern, bis ich die Dinge verarbeitet habe." Laut seines Verteidigers und seines Betreuers sei mit diesem Verfahren nun viel Druck abgefallen, da er sich endlich öffnen musste.
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