Fred Uhlman - der wiedergefundene Künstler
Fred Uhlman flüchtete als Jude ins Exil und wurde Maler und Literat. Die Stuttgarter Staatsgalerie zeigt gerade einige seiner Zeichnungen.
„Trotz allem“ – mit diesem handschriftlichen Zusatz hat Fred Uhlman ein Exemplar seiner 1960 erschienen Autobiografie „The Making of an Englishman“ (frei übersetzt „Wie man zum Engländer wird“) an seine Heimatstadt Stuttgart gesandt. Die ungewöhnlichen Widmungsworte waren mit Bedacht gesetzt, darauf deutet der deutsche Untertitel des Buches hin, der da lautet: „Erinnerungen eines Stuttgarter Juden“. Uhlman, 1901 dort geboren, flüchtete 1933 ins Exil und kam 1936 nach England, das ihm zur neuen Heimat wurde. Die alte aber hat er nie vergessen, im Bösen nicht – Eltern, Schwester und weitere Verwandte wurden Opfer des Holocausts –, aber auch nicht im Guten, wovon noch zu reden ist. Von London aus hat Uhlman nach dem Krieg noch einige Male Stuttgart besucht, „trotz allem“.
Die bitter-versöhnlichen Worte finden sich auch im Titel der Kabinettausstellung, die gerade in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen ist. Sie präsentiert 38 Zeichnungen, die Uhlman nach Kriegsende der Staatsgalerie geschenkt hatte, die dort aber nie öffentlich zu sehen waren. Anhand dieser Blätter macht die Ausstellung „ein jüdisches Schicksal“ sichtbar, das nicht nur beispielhaft für viele jüdische Exilschicksale steht, sondern auch eine bemerkenswerte Doppel-Künstlerexistenz wieder ins Licht rückt, die es verdient, von einem größeren Publikum wahrgenommen zu werden.
Fred Uhlman kam erst im Exil zur Kunst
Uhlman stammte aus assimiliertem jüdischen Elternhaus, und obwohl er früh künstlerische Neigungen zeigte, verpflichtete ihn der Vater zum Jurastudium, nach dessen Abschluss er in Stuttgart als Rechtsanwalt arbeitete. Als die Nationalsozialisten die Macht an sich rissen, floh Uhlman nach Paris, knüpfte dort Kontakte zu Künstlerkreisen und fing schließlich selbst an zu malen, ohne dass sich nachhaltiger Erfolg einstellen wollte. Er lernte eine junge Engländerin aus wohlhabendem Haus kennen, das Paar heiratete und ließ sich in London nieder, wo Uhlman weiter als Künstler arbeitete. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde der deutsche Jude jedoch im Sommer 1940 von den Behörden als „enemy alien“ in ein Internierungslager gesteckt.
In dem Camp auf der Isle of Man war er nicht der einzige Künstler, und die Lebensbedingungen im englischen „Lager“ erwiesen sich als erträglich. In seinem Tagebuch hat Uhlman festgehalten, wie das Zusammengesperrtsein unterschiedlichster intellektueller Köpfe regelrecht Züge einer Universität trug. Internierte deutsche Professoren hielten Vorlesungen ab, überhaupt, so Uhlman, konnte man tun und lassen, was man wollte. Also auch sich künstlerisch betätigen, solange man sich bei der Materialbeschaffung zu helfen wusste. Der im selben Lager festgehaltene Kurt Schwitters etwa schuf Skulpturen aus Porridge, die freilich rasch dem Verfall preisgegeben waren. Uhlman bewunderte den durch Dada berühmt gewordenen Künstler, und von Schwitters wie auch von dem Expressionisten Ludwig Meidner, ebenfalls prominenter Mithäftling, gibt es Porträts von Uhlman aus der Zeit im Internierungslager – jenes aus der Hand von Schwitters (hier oben zu sehen) auf Linoleum gemalt, das man den Böden der Baracken entnahm.
Nach dem Krieg brachte Uhlman es zu einer gewissen Bekanntheit
Von Uhlman selbst entstand während der Internierung „Captivity“, ein Zyklus kleiner Zeichnungen, darunter auch jene Blätter, die 1950 an die Stuttgarter Staatsgalerie gingen. Der Künstler verarbeitete in dem Zyklus drängende Themen der Kriegszeit, gab dabei auch der Hoffnung Raum. Öfter taucht zwischen düsteren Gestalten ein kleines Mädchen mit einem Luftballon auf – eine Hommage Uhlmans an seine gerade erst geborene Tochter, die nur wenige Tage nach seiner Internierung zur Welt gekommen war. Nach dem Krieg brachte Uhlman es zu einer gewissen Bekanntheit in Londons Künstlerszene. Dass er 1953 als einziger Exilant unter zwei Dutzend Künstlerkollegen ausgewählt wurde, als Maler die Krönung von Elizabeth II. zu begleiten, spricht für die Wertschätzung.
Aber Uhlman, 1979 in London gestorben, arbeitete nicht nur als Maler und Zeichner, er war auch Literat. Neben der schon erwähnten Autobiografie war es insbesondere ein Buch, das ihm Aufmerksamkeit verschaffte – die Erzählung „Der wiedergefundene Freund“. Im englischen Original 1971 veröffentlicht unter dem Titel „Reunion“, wurde der schmale Band in 19 Sprachen übersetzt und brachte es in einigen Ländern gar zur Schullektüre. Mit doppelter Berechtigung, handelt es sich doch nicht nur um eine Schülergeschichte, sondern um die geradezu lehrbuchhafte Schilderung zweier sehr verschiedener Lebenswege im sich verfinsternden Deutschland der frühen 30er Jahre-Perspektive erzählt, die Geschichte des 16 Jahre alten jüdischen Arztsohns Hans Schwarz, der in Stuttgart ein altehrwürdiges Gymnasium besucht. In die Klasse kommt eines Tages ein Neuer, Konradin von Hohenfels, und zwischen ihm und Hans entsteht bald eine Jungenfreundschaft, die vom beiderseitigen Interesse für das Schöngeistige geprägt ist, grundiert von einem scheuen, jedoch nie manifest werdenden Eros. Schienen die beiden Jungen doch, erinnert Hans sich später, „fast wie ein junges Liebespaar“, wie sie da auf Wanderungen durch die „schäumende“ schwäbische Frühlingslandschaft streiften und sich an Gedichten Hölderlins berauschten.
Uhlman hat auch Romane geschrieben
Gerade in solchen Beschreibungen profitiert die Geschichte merklich vom eigenen Erleben des Autors, und der zum „Englishman“ gewordene Uhlman hat sich stets dazu bekannt, wie sehr er sein „beloved Swabia“ vermisse. Was Leser freilich nicht dazu verführen sollte, die Erzählung als nur wenig verkappte Autobiografie zu verstehen.
Hans lädt den Freund aus adeliger Familie zu sich nach Hause ein und stellt ihn den Eltern vor. Doch eine Gegeneinladung Konrads erfolgt lange nicht. Als sie schließlich doch zustande kommt, sind wie auch bei allen weiteren Besuchen im Hause Hohenfels die Eltern des Freundes nicht zu sehen. Das kann kein Zufall sein, argwöhnt Hans, und Konradin muss schließlich bekennen: Vater und Mutter lehnen Juden ab. „Wir wussten beide“, bilanziert Hans, „dass nichts mehr sein würde wie vordem …“
Die Freundschaft zerbricht, skizzenhaft berichtet der Ich-Erzähler noch von seinem weiteren Lebensweg, der ihn ins rettende Exil führt. Wie er, Hans, Jahre nach dem Krieg dann doch noch einmal dem Namen Konradin von Hohenfels begegnet, wie sich schließlich sogar einlöst, was der Buchtitel verspricht, das ist bewegend und – buchstäblich – bis zum letzten Wort spannend erzählt. Von Dienstag, 3. August, an zu lesen als neuer Tagesroman in der Print- und E-Paper-Ausgabe der Augsburger Allgemeinen.
„Trotz Allem. Fred Uhlman – ein jüdisches Schicksal“ im Grafik-Kabinett der Staatsgalerie Stuttgart. Bis 24. Oktober, Di bis So 10 bis 17, Do bis 20 Uhr. Kein Katalog; kostenlos herunterzuladen von der Internetseite des Museums ist ein ausgezeichneter Aufsatz der Kuratorin Corinna Höper (staatsgalerie.de/ausstellungen).
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