In einer Dunkelziffer steckt auch etwas Bedrohliches
Warum hinter diesem Wort ein zweifaches Dunkel steckt. Und was das mit dunklen Mächten zu tun hat, lesen Sie hier.
Bei Licht betrachtet, ist das Dunkle im Wort „Dunkelziffer“ ein zweifaches Dunkel. Denn abgesehen davon, dass das Dunkle für eine unsichere, unbekannte Größe, für eine verdeckte Menge steht, ist es auch eine Umschreibung für all das Bedrohliche, das regelmäßig mit der Dunkelziffer umrissen wird: die Dunkelziffer von Missbrauchsfällen, die Dunkelziffer von versuchten oder gelungenen Betrügereien, die Dunkelziffer der Armut, die Dunkelziffer der Ansteckungsfälle bei Seuchen, die Dunkelziffer der vollstreckten Todesurteile in Diktaturen.
Hellfeld ist der Begriff für das Dokumentierte
Schlimm genug schon, dass es diesbezüglich überhaupt „Hellziffern“ gibt – obwohl die nicht so heißen.
Aber es gibt in der Kriminologie immerhin den Begriff Hellfeld – als Gegensatz zum Begriff Dunkelfeld: Das Hellfeld bezeichnet die erkannte, also unverdeckte und gesichert dokumentierte Masse einer dunklen Macht.
Warum aber wird der Begriff der Dunkelziffer nicht auch verwendet zur Abschätzung der gemeinhin als positiv betrachteten Kräfte dieser Welt? Es gibt doch auch eine Dunkelziffer von – verstohlen agierenden – Kirchgängern und von ungenannt bleiben wollenden Mäzenen, Wohltätern, Spendern. Und selbst unter den Steuerzahlern, die ja nicht wenige sind, soll es eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Individuen geben, die diesem Geschäft einsichtig und wohlwollend nachkommen – vielleicht auch in der Hoffnung, dass – wenn die Dunkelziffer der Corona-Fälle wieder bei null liegt – deutlich mehr ins deutsche Gesundheitswesen investiert wird. Nur eine fromme Hoffnung?
Wie auch immer. Jedenfalls gibt es derzeit kaum Anlass zu glauben, dass der Begriff Dunkelziffer demnächst im Dunkelfeld der aussterbenden Wörter spurlos verschwinden wird. Der dunklen Mächte gibt es einfach zu viele.
In der Kolumne "Auf ein Wort" betrachtet das Feuilleton unserer Zeitung jede Woche einen Begriff ganz besonders. In Corona-Zeiten ist daraus ein kleines Corona-Vokabular entstanden. Lesen Sie auch "vorübergehend", "triftig", "Stand jetzt" und "überdesinfizieren".
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