Vor 90 Jahren fand die erste Fußball-Weltmeisterschaft statt
Im Juli 1930 begann eine neue Ära des Fußballs. 13 Teams kämpften um den Titel und ein Sieg wurde im Bordell gefeiert. Ein Rückblick, der heute fast skurril anmutet.
Spiele im Schneetreiben, Pistolenschüsse statt Torjubel und Schiedsrichter mit Krawatte – so begann vor 90 Jahren mit der ersten Weltmeisterschaft eine neue Ära des Fußballs. Vom 13. bis 30. Juli 1930 kämpften in Uruguay 13 Teams um den Titel. Im Endspiel besiegte der Gastgeber Argentinien mit 4:2.
„Wir freuten uns natürlich alle über diesen Treffer, aber […] keiner hatte realisiert, dass ich Geschichte geschrieben hatte. Ein kurzer Händedruck, das war’s, und schon ging’s weiter“, erinnerte sich der Franzose Lucien Laurent an den denkwürdigen Moment. Der Automechaniker von Peugeot hatte beim 4:1-Sieg seiner Elf gegen Mexiko in der 19. Minute das erste WM-Tor geschossen. Da auf der Südhalbkugel im Juli Winter ist, war der Schneefall während des Spiels nicht außergewöhnlich. Eher eine Ausnahme: Der Sieg wurde anschließend ausgiebig im Bordell gefeiert.
Die Idee hatte ein Franzose
Erste Pläne für eine Fußball-Weltmeisterschaft hatte der französische Rechtsanwalt und Präsident der Fifa (Fédération Internationale de Football Association), Jules Rimet, bereits Mitte der 1920er Jahre geschmiedet. Gemeinsam mit Enrique Buero, einem wohlhabenden Rinderzüchter aus Montevideo, wollte er ein globales Turnier auf die Beine stellen. Wegen des hohen Aufwands und der immensen Kosten weigerten sich jedoch fast alle Fußballverbände, eine solche Meisterschaft auszurichten. Schließlich erklärte sich Uruguay doch bereit. Auf dem Fifa-Kongress im Mai 1929 in Barcelona wurde das Land zur Gastgebernation gewählt. Neben Argentinien verfügten die „Urus“ damals über die beste Nationalmannschaft. Denn die Südamerikaner spielten früher als die meisten Teams Europas professionellen Fußball.
Teilnehmen durfte, wer wollte
Die WM 1930 war die einzige, für die es keine Qualifikation gab. Teilnehmen durfte, wer wollte. Die Südamerikaner aus Argentinien, Brasilien, Bolivien, Chile, Paraguay, Peru und Uruguay hatten sich für die Endrunde angemeldet. Weil Ecuador, Kolumbien und Venezuela noch keine Länderspiele ausgetragen hatten, wurden sie nicht zugelassen. Aus Nord- und Mittelamerika kamen noch Mexiko und die USA hinzu. Die meisten Europäer blieben aber lieber zu Hause. Mannschaften aus Afrika, Asien und Ozeanien waren überhaupt nicht vertreten.
Nur vier Teams aus Europa dabei
Mit Italien, Österreich, Spanien und Ungarn sagten alle damaligen großen Fußballnationen ab. Auch Skandinavier und Niederländer zeigten kein Interesse. Ihnen war die 10.000 Kilometer lange Anreise zu weit und zu teuer. Die Briten waren nach einem Disput über den Amateurstatus aus der Fifa ausgetreten, der DFB hielt am Amateurideal fest und wollte an keinem Turnier mit Berufsfußballern teilnehmen. Vor Ort lockte der südamerikanische Fußball die Massen an, aber in Europa fand er kaum Beachtung. Zudem hätten bei einer Teilnahme Vereine aus der Alten Welt mindestens zwei Monate lang auf ihre besten Spieler verzichten müssen. Um ein Desaster abzuwenden, sorgten Fifa-Boss Rimet und sein belgischer Stellvertreter Rodolphe Seeldrayers schließlich für zwei Teilnehmer aus den eigenen Landesverbänden. Hinzu kamen vom Balkan noch die zweitklassigen Jugoslawen und die drittklassigen Rumänen.
Jugoslawiens Torhüter nahm während der Überfahrt 16 Kilo zu
1930 war Amerika mit dem Flugzeug noch nicht zu erreichen. So machten sich von Genua aus die Mannschaften Frankreichs, Belgiens und Rumäniens mit dem italienischen Luxusliner „Conte Verde“ zu einer 14-tägigen Schifffahrt nach Uruguay auf. Auf der Passagierliste befand sich auch Rimet, der den später nach ihm benannten Siegerpokal im Gepäck hatte. Die Jugoslawen reisten separat an. Zur Belustigung der Passagiere präsentierten sich die Fußballer an Deck mit Gymnastikübungen und Bockspringen. Trotzdem: Jugoslawiens Torhüter Milovan Jakic nahm während der Atlantik-Überquerung angeblich ganze 16 Kilo zu.
Das Stadion war noch nicht fertig
Als die Schiffe in Montevideo einliefen, erwartete die Fußballer eine riesige Menschenmenge. Alle Spiele sollten im neu errichteten Estadio Centenario in Montevideo stattfinden. Wegen lang anhaltender Regenfälle wurde der Bau aber nicht rechtzeitig fertig und die Veranstalter mussten auf andere Stadien ausweichen. Das erste Spiel im „Centenario“ zwischen Uruguay und Peru (Endergebnis 1:0) wurde erst am 18. Juli angepfiffen. Was zu der grotesken Situation führte, dass die WM erst fünf Tage nach den Auftaktspielen feierlich mit dem Einmarsch der Mannschaften eröffnet wurde. Wobei einige von ihnen schon ausgeschieden waren.
Der Schiedsrichter bestand auf Leibwächter
Die favorisierten Uruguayer („La Celeste“ – „Die Himmelblauen“) setzten sich in ihrer Gruppe souverän durch, ebenso Jugoslawien und Argentinien („Albiceleste“ – „Die Weiße und Himmelblaue“). Die Überraschung des Turniers waren die US-Amerikaner, die Gruppensieger wurden und das Halbfinale komplettierten. Im Semifinale gewannen Argentinien und Uruguay jeweils 6:1 gegen die Vereinigten Staaten bzw. Jugoslawien. Zum Finale waren bis zu 15.000 Argentinier über den Río de la Plata nach Montevideo gekommen, viele riefen „victoria o muerte“ („Sieg oder Tod“). Der Andrang am Zielhafen war so groß, dass einige nicht mehr rechtzeitig zum Anstoß ins Stadion gelangten.
Zur Spielleitung des Finales erklärte sich der belgische Schiedsrichter John Langenus allerdings nur bereit, wenn der Veranstalter Leibwächter hinter beiden Toren postieren würde. Außerdem setzte der mit Schildmütze, Krawatte, Samtweste und Knickerbocker bekleidete Unparteiische durch, dass das Publikum auf Waffen untersucht werden müsse. Vor dem Anpfiff wurden an den Stadiontoren von 68 346 Zuschauern rund 1600 Revolver eingesammelt. Statt zu jubeln, feuerten die Südamerikaner gern Schüsse in die Luft. Trotzdem bestand Langenus darauf, dass eine Stunde nach Abpfiff am Hafen ein Boot für eine etwaige Flucht bereitstand.
Eine Meldung vom Endspiel erschien in Deutschland erst einen Monat später
Ein weiterer Streitpunkt entwickelte sich kurz vor Spielbeginn, da Argentinier und Uruguayer unterschiedliche Bälle bevorzugten, mit je anders aufgenähten Lederstreifen. Schiri und Diplomatensohn Langenus fand eine Lösung: Je eine Halbzeit wurde mit einem der beiden ausgetragen. In der 89. Minute fiel mit dem 4:2 die Entscheidung der Partie zugunsten von Uruguay. Nach dem Sieg wurde der nächste Tag zum Nationalfeiertag erklärt, während in Buenos Aires Argentinier die uruguayische Botschaft mit Steinen bewarfen.
Heute eher ungewöhnlich: Der Finalschiedsrichter besserte sein Einkommen als Sportberichterstatter auf. Für den deutschen Kicker lieferte er „aktuelle“ Informationen. Weil nur zwei europäische Pressevertreter, neben Langenus war es der ungarische Fifa-Delegierte Moritz Fischer, über die WM berichteten und die Informationen per Schiff nach Europa gelangten, erschien ein 22 Zeilen langer erster Bericht vom Endspiel erst am 26. August in Deutschland.
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