Bruce Springsteen: Immer weiter wühlen
Der „Boss“ macht, worauf er Lust hat – und das hört sich auch noch gut an. Inspiriert wurde sein neues Studioalbum High Hopes durch einen weiteren Star an der Gitarre
Augsburg Was für eine Liaison! Hier die lebende Rocklegende Bruce Springsteen, ein Arbeiter an der Gitarre, der sich auch mit 63 Jahren noch drei Stunden lang im strömenden Regen und bei frostigen Temperaturen vor seinen Fans völlig verausgabt – dort Tom Morello, ein Zauberer, ein Akrobat an der hochgegürteten Gitarre, der mit seiner Band „Rage against the Machine“ Anfang der 1990er ein neues Genre schuf, einen lauten, schnellen, wilden Crossover-Mix, der dem Rock einen neuen Dreh verpasste. Und nun das: Das neue Springsteen-Album „High Hopes“, auf dem Morello an sieben von zwölf Songs beteiligt ist. Im Booklet dazu steht: „Tom und seine Gitarre sind meine Muse geworden.“
Diese auf den ersten Blick vielleicht überraschende Paarung hat sich für Eingeweihte längst etabliert. Noch mit „Rage against the Machine“ hatte Morello einen Springsteen-Song gecovert, das damals brandneue „The Ghost of Tom Joad“. In dem Lied spannt Springsteen einen Bogen von John Steinbecks großem Sozialroman „Früchte des Zorns“, der in 1920er Jahren spielt, zu den Schicksalen von USA-Einwanderern in der Gegenwart.
Morello geehrt, von Springsteen gefragt zu werden
Vom ersten Cover bis zum ersten gemeinsamen Zusammenspiel dauerte es dann doch eine halbe Ewigkeit. 2008 fragte Springsteens Manager überraschend bei Morello an, ob er nicht bei einem Springsteen-Konzert als Überraschungsgast auftreten wolle. Das Ergebnis: Ein Publikum, das nach Morellos E-Gitarren-Solo nicht mehr aufhörte zu klatschen. Auf diesen ersten gemeinsamen Gig folgten weitere. Beim letzten Springsteen-Studioalbum „Wrecking Ball“ war Morello bereits an zwei Songs beteiligt. Schließlich fragte Springsteen bei Morello an, ob er nicht auch auf einem Teil der Konzerte im Rahmen der „Wrecking Ball“-Tournee spielen könne, um dort den terminlich verhinderten Stammgitarristen von Springsteens E-Street-Band zu ersetzen. Der Extrem-Gitarrist fühlte sich geehrt, vom „Boss“ gefragt zu werden, und sagte zu.
Für Morello eine Feuertaufe, wie er in einem Interview mit dem Musikmagazin Rolling Stone erzählte. Morello lernt neue Songs eher langsam. Springsteen aber spielt Konzertabend für Konzertabend ein dreieinhalbstündiges Mammutprogramm, das noch dazu von Mal zu Mal anders aussieht. Am Ende hatte Morello für die Tournee 78 verschiedene Springsteen-Songs im Repertoire, mehr als manche Band in mehrjährigem Bestehen zusammenbringt.
Während der gemeinsamen Auftritte in Australien entstand dann die Idee für ein neues Springsteen-Studio-Album, eines, an dem auch Morello maßgeblich beteiligt ist. Ein Album, das aber nicht nur aus diesem Grund höchst ungewöhnlich ist. Für „High Hopes“ hat Springsteen Coversongs, bislang unveröffentlichtes Material oder radikal umgestaltete und neu interpretierte Songs verwendet – ein eher lockeres Herangehen an das 18. Studioalbum, das man so von Springsteen noch nicht kannte.
Geschadet hat es der Platte nicht. Sie setzt schon dadurch, dass sie inhaltlich wild zusammengewürfelt ist, einen Kontrapunkt zum Vorgängeralbum. So finden sich religiös inspirierte Nummern auf dem Album ebenso wie sozialkritische und Liebeslieder. Trotzdem passen die zwölf Songs vom Ton her zusammen.
Von Springsteen auf einer längst vergessenen EP veröffentlicht
Die größte Überraschung ist der Eröffnungs- und Titelsong „High Hopes“. Das Lied wurde ursprünglich 1996 von Springsteen auf einer längst vergessenen EP veröffentlicht. Nun, durch einen Zufall von Morello wiederentdeckt und im Rahmen der Tournee ins Live-Programm aufgenommen, macht der Song, mit großem Orchester eingespielt, Lust auf das Kommende – ein modernes musikalisches Gebet, mit Tempo vorgetragen.
Heraus sticht aus der Platte „American Skin (41 Shots)“, von Springsteen im Jahr 2000 geschrieben als Antwort auf den Tod des US-Einwanderers Amadou Diallo, der durch 41 Schüsse von der Polizei getötet worden ist. Der sieben Minuten lange Song zieht vom ersten Takt an in Bann – eine hypnotische Anklage der Willkür, mit der die Polizisten zu Werke gingen.
Und wenn sich später mit der Rockversion des ursprünglich ruhig-spartanischen „The Ghost of Tom Joad“ und dem melancholischen „The Wall“ das neue Album dem Ende zuneigt, hat man kein großes, aber ein gutes Springsteen-Album gehört, das zeigt, was der Boss auch ist: ein Getriebener, der nicht nur immerfort in seiner Musik lebt, sondern auch noch im Alten nach dem Neuen wühlt. Und das mitunter exzentrische Gitarrenspiel Morellos fügt sich perfekt in den satten Springsteen-Sound ein – wie ein Stachel, der auf wundersame Weise nicht stört.
Als Bonus-Material gibt es zum neuen Studioalbum dann noch einen Eindruck von der gigantischen letzten Tournee: einen einstündigen Live-Mitschnitt vom Auftritt in London als DVD, das komplette „Born in the USA“-Programm, das er dort (wie in München) unter anderem gespielt hat. Grandios.
Bruce Springsteen: High Hopes (Sony Music)
Die Diskussion ist geschlossen.