Plötzlich ist da Liebe in all ihren Facetten
Ovationen für den neuen Ballettabend am Staatstheater Augsburg – völlig zu Recht. Die Premiere berührt
Noch ein paar Schritte der Tänzer ohne Musik, langsam schließt sich der Vorhang, das Publikum ist sichtlich ergriffen. Augsburgs Ballettdirektor Ricardo Fernando hat die Zuschauer mit der letzten Choreografie der Ballettpremiere „Dimensions of Dance. Part 2“ in die Untiefen der „Nacht“ geschickt. Vor allem die drei Duette der 30-minütigen Choreografie packen durch Intensität. Da ist in diesem Verschränken und Fliehen plötzlich für alle im Saal etwas von der Kraft der Liebe zu spüren. Dazu erklingt aus Boxen betörende Filmmusik im Crescendo-Modus, sich langsam steigernde Sehnsuchtsmotive. 2013 hat Fernando diese Choreografie erstmals in Hagen, seiner alten Wirkungsstätte, gezeigt; sechs Jahre später begeistert er mit ihr sein Augsburger Publikum. Der Vorhang schließt sich im annähernd ausverkauften Martinipark, noch eine Sekunde herrscht Stille, dann setzt lautstarker Jubel ein. Es dauert nicht lange, bis die ersten im Stehen applaudieren. Völlig zu Recht.
Vier Choreografien bekommt das Publikum im Ballettabend „Dimensions of Dance. Part 2“ zu sehen; zusammen ergeben sie ein Bild davon, was Tanz heute alles sein kann. Zu Beginn geht es locker los: Zu Bachs „Goldberg-Variationen“ hat Ricardo Fernando neoklassische Miniaturen geschaffen. Sie wirken wie eine Probenarbeit, die ihren Weg auf die Bühne findet. Kurze Stücke, die Frauen auf Spitzenschuhen; die einzelnen Teile haben keine Verbindung zueinander. Tanz pur.
Im Anschluss kommt es mit der Uraufführung von Peter Chus „yourFace“ zum ersten Höhepunkt des Abends. Zur eigens komponierten Musik, die mit Geräusch und gesprochenem Text spielt, will Chu hinter die Masken der Menschen blicken. In der stärksten Szene streift Nikolaos Doede Maske um Maske ab, es will kein Ende nehmen, bis endlich sein wahres Gesicht zu sehen ist. Und unheimlich, wie Marcos Novais das Zittern eines Süchtigen auf Entzug darstellt. Chu versteht es, mit dem Ensemble faszinierende Bilder zu schaffen. Oft erzählt er gleichzeitig, lässt zwei Gruppen agieren und überlässt es dem Zuschauer, ob er darin Vorder- und Rückseite einer Handlung sieht.
Sicher ist, dass „yourFace“ Wirkung entfaltet, Assoziationen auslöst, berührt. Mit dem US-Choreografen ist Fernando eine Entdeckung geglückt. Nach der Pause des zweieinhalbstündigen Abends gibt es in Augsburg ein Wiedersehen mit Cayetano Soto. In „Beginning After“ untersucht der Choreograf, wie wahr Erinnerungen sind und wie sehr sie täuschen können. Doch gegenüber Chus „yourFace“ und anschließend Fernandos „Nacht“ bleiben seine Idee und seine Pas de deux etwas blasser und unbestimmter. Zusammengenommen jedoch eine gelungene Ballettpremiere des Staatstheaters, an dem das mittlerweile 16-köpfige Ensemble wieder zeigt, über welch hohe technischen Qualitäten es verfügt und wie viel Ausdruckskraft es besitzt.
am 17., 20., 28. April, 1., 7., 10., 26., 31. Mai, 15. Juni. Die Karten sind stark nachgefragt.
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