Ein Riesen-Kaiserschmarrn
Das Theater Augsburg hat sich in die Sommerfrische begeben. Es logiert die kommenden vier Wochen kommod "Im weißen Rössl" am Wolfgangsee. Der See liegt jedoch ausnahmsweise auf der Augsburger Freilichtbühne. Von Rüdiger Heinze
Von Rüdiger Heinze, Augsburg.
Es soll ja Menschen geben, die sich den Theaterkritiker als einen Sauertopf vorstellen, der mit spitzigen Fingern das Haar in der Suppe sucht.
Würde dies stimmen, würde der Kritiker - wie ein Barbier - das Haar gelegentlich problemlos finden. Gelegentlich würde er auch keines entdecken. Das täte ihn selbst freuen. Gelegentlich aber bräuchte er das Haar in der Suppe gar nicht zu suchen, weil nämlich keine Suppe serviert wird, sondern ein pudergezuckerter Riesen-Kaiserschmarrn.
Das Theater Augsburg hat sich in die Sommerfrische begeben. Es logiert die kommenden vier Wochen kommod "Im weißen Rössl" am Wolfgangsee. Dort verdrängt es frei nach Karl Kraus sämtliche Logik und erholt sich - gebührend verantwortungslos - in einem absurden Traum. So kommt es einerseits zu einer geziemenden Sause und andererseits zu einer sentimentalen Schmonzette, bevor drei, eigentlich vier Paare unter dem Doppeladler in den heil'gen Stand der Ehe treten. Ihre Hochzeitsnacht beginnt, wenn das Publikum nach Hause strömt. Ja, ja, im Salz kann mer gut.
Besten Gewissens und in vollem Ernst darf versichert werden: Bei diesen Theaterferien lässt weder das Ausstattungspaar Andrea Hölzl / Elisabeth Gressel außer Acht, in welcher Geschmackswelt das ganze Augsburger Ensemble unterwegs ist, noch die Regisseurin Valentina Simeonova, dass sie in eben dieser Geschmackswelt einen Tierpark für Verhaltensauffällige, Geschädigte und Knatterchargen einzurichten hat. Jeder Spleen erhält hier seine Chancengleichheit.
So braucht man heuer einmal nicht nach St. Wolfgang zu fahren, um zwischen Edelweiß, Alm- und Enzianrausch im Bilde zu sein. Von der Augsburger Freilichtbühne kriegen wir - kreuzend zwischen Zeiten und Moden - geliefert, womit der organisierte Animations-Tourismus seit knapp 100 Jahren bizarr delektiert: jauchzende Bergsteiger, Heubäder, Kofferradios, ein rollender Kellner mit Liebespfeilen, selbsttrippelnde öffentliche Verkehrsmittel, Blasmusi aus St. Pölten, Ampflwang und Schwabmünchen, ein Neger im Eisbärenfell vor dem Schafberg, eine Kellerassel und eine Kuh-Bar mit Hip-Hop-Musik, ein Pferde- und ein steppendes Kuhballett, Gangway & Dirndl-Cheerleader-Girls für Seine Majestät Kaiser Franz Joseph I., die anlegt nahe des Strandbads mit einer radargeleiteten Promi-Yacht. Jetzt schwenkt das Publikum begeistert und interaktiv die vorab verteilten rot-weiß-roten Fähnchen. Und nirgends in Deutschland sah man in diesem Sommer so viel Enthusiasmus für Österreich.
Es merkt also ein jeder, was die Kirchturmuhr von St. Wolfgang geschlagen hat. Sie läutet zu einem empfängnisbereiten Dreier zwischen Kitsch-Idylle (in der EUWerktreue-Verordnung vorgeschrieben!), munterkunterbuntem Surrealismus und einem drei viertel Pfund amüsanter, mehrheitsfähiger, nie giftiger Parodie. Ein jeder im Publikum dürfte erleichtert Folgendes konstatieren: Einen Kopf muss ich mir hier nicht machen. Im gipfelstürmenden Nonsens ist geistig betrachtet noch Luft nach oben. Einen Hirnkrampf kriegt da faktisch keiner.
Das alles ist ja schon mal was. Und wenn man dann noch bei dem einen oder anderen Spaßettel alle Fünfe grade sein lässt, dann ist's recht eigentlich eine fidele Hatz, bis jedes Töpfchen sein Deckelchen gefunden hat - obwohl ja eigentlich ein jeder schon vor dem Kennenlernen unter dem Bann der künftig besseren Hälfte steht.
Diesbezüglich gibt es für die Damen - Augsburgs Intendantin Juliane Votteler sei's zum Spielzeitende gedankt - sogar noch einen Schuss Weisheit mit auf den Nachhauseweg. Der zumindest im Privatleben arg geschlagene Kaiser dichtet holpernd ins Stammalbum der Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber, die zuvor vom Zahlkellner Leopold wie eine Widerspenstige gezähmt worden war: "Schweige und begnüge dich, lächle und füge dich." So punktet dieses revuehafte Singspiel sogar noch durch erheblichen praktischen Nutzwert.
Die Vogelhuberin kann es aber auch brauchen, so gschert hier, so sülzend dort sie sich zuvor aufgemantelt hat. Stefanie Dietrich macht das so famos wie Klaus Müller den Textil-Fabrikanten Giesecke knorke berlinert. Als Herzschmerztenöre treffen Roman Payer ( Siedler) und David Pichlmaier (Leopold) auf tiefes Mitgefühl, das sich bei Ines Kurenbach als lispelndem Klärchen zum Mitleid verstärkt. Martin Herrmann mimt einen skurrilen Loriot-Professor, Toomas Täht einen blödelnden Piccolo-Kellner, Alexander Koll einen erstaunlich selbstbewussten Sigismund, Sophia Brommer halbsympathisch eine großstädtische Shopping-Schnepfe. Derweil vergnügen sich - ohne Tracht - die Philharmoniker unter Karl Andreas Mehling bärig in einem Fest- und Bierzelt. Sie nehmen ihren Beitrag so schwungvoll-ernst wie die diversen Chöre.
Das letzte Wort aber obliegt dem Kaiser (Eberhard Peiker). So, wie er war, grundgütig, stellt er fest: "Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut."
Noch 20 Aufführungen bis 31. Juli
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