Misstrauen mit Methode
Auch die beste Freundschaft hat ihre Grenzen. Wer seinen Freunden misstraut, wer ihnen hinterherschnüffelt und das auch noch für eine schiere Selbstverständlichkeit hält, hat das Wesen einer guten Freundschaft nicht verstanden – das unausgesprochene Verständnis, das sie auch durch schwierige Phasen trägt, das Vertrauen ineinander, die Offenheit im Umgang miteinander. Darauf fußt alles – nicht nur im richtigen Leben, sondern auch in der Politik.
Natürlich wird die am Rande des Obama-Besuches wortreich gefeierte deutsch-amerikanische Freundschaft den neuen Spionageskandal überstehen. Wenn eine sonst so vorsichtige Frau wie die Kanzlerin jedoch ausrichten lässt, die Welt befinde sich nicht mehr im Kalten Krieg, ist für sie offenbar eine unsichtbare Linie überschritten. Barack Obamas lapidare Auskunft, mit dem massenweisen Sammeln von Informationen rette sein Land Leben, rechtfertigt nicht alles. So wichtig Telefon- und Internetdaten für die Arbeit seiner Dienste sein mögen: Es macht einen Unterschied, ob sie verdächtige Islamisten ausspähen oder die Regierungen befreundeter Länder.
Angela Merkel wirkt konsterniert
Schon nach ihrem Gespräch mit Obama vor zwei Wochen wirkte Angela Merkel etwas konsterniert über die lässige Art, mit der der amerikanische Präsident die deutsche Kritik an seinen Abhörprogrammen von sich abprallen ließ. Damals hat sie ihn ermahnt, die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit nicht zu verlieren und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu achten. Inzwischen ist klar: Seine Spione wissen noch viel, viel mehr über uns Europäer. Sie schrecken nicht einmal davor zurück, unsere Botschaften zu verwanzen und die Kommunikationsnetze unserer Regierungen zu attackieren. Das ist, zum einen, ein Armutszeugnis für die deutschen Dienste, zu deren Aufgaben auch die Spionageabwehr gehört. Wenn die amerikanische NSA aber jeden Monat tatsächlich bis zu 500 Millionen Mails, Telefonate, SMS und Chats in Deutschland überwacht, zeigt das vor allem ein sehr, sehr einseitiges Verständnis von Freundschaft. Motto: Ein Freund ist nur der, der mir nutzt.
Mag sein, dass deutsche Regierungen dieses Denken unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001 noch befördert haben, indem sie der US-Regierung nur allzu bereitwillig Konto- und Fluggastdaten zur Verfügung stellten. Mittlerweile jedoch hat die Sammelwut der Amerikaner eine Dimension angenommen, die sich mit dem Ideal einer freien Gesellschaft nicht mehr verträgt. Der sensible Umgang mit Daten anderer Menschen, der Schutz der Privatsphäre, der Grundsatz, dass jemand bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten hat: Dass ausgerechnet die Vereinigten Staaten, das Synonym für Freiheit, einen ganzen Kontinent unter Generalverdacht stellen, hätte sich auch die bekennende Transatlantikerin Merkel bis vor kurzem nicht träumen lassen.
Ungehaltenen Worten notfalls auch Taten folgen lassen
Nun kommt es darauf an, den ungehaltenen Worten notfalls auch Taten folgen zu lassen. Wenn die USA ihre Abhöraktivitäten nicht drastisch reduzieren, haben die europäischen Regierungen durchaus das eine oder andere Gegenmittel in der Hand. Sie könnten, zum Beispiel, die umstrittenen Abkommen über den Austausch von Passagierdaten aufkündigen oder die Gespräche über eine riesige Freihandelszone zwischen den USA und der EU auf Eis legen, an der Washington ein ungleich größeres Interesse hat als Europa. Dafür sprechen, so zynisch es klingt, auch ganz praktische Erwägungen: Wie soll die europäische Seite ihre Position für solche Verhandlungen eigentlich festlegen, wenn sie damit rechnen muss, dass die Amerikaner jedes Wort mithören?
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