Arbeiten gegen die große Leere
Die Lebenshilfe Donau-Iller feiert in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag. Die Neu-Ulmer Zeitung begleitet dieses Jubiläum mit einer Serie, die sich mit der Arbeit dieser Institution beschäftigt und zeigt, wie Menschen mit Behinderung in der heutigen Zeit am Alltagsleben teilnehmen.
Ulm In der Verpackerei ist Großkampftag, da ist keine helfende Hand zu viel. Ein wichtiger Kunde hat mehr Material geliefert als erwartet - und es muss schnell gehen. Auch aus der Schreinerei und der Metallverarbeitung sind Mitarbeiter gekommen, um mit anzupacken. Kollegial geht es zu, wie es in einem guten Betrieb sein sollte. Die Mitarbeiter verbindet mehr als nur der Job: Alle leiden an einer psychischen Erkrankung.
Die Donau-Iller-Werkstätten in Böfingen sind innerhalb der Lebenshilfe eine besondere Einrichtung. Statt einer geistigen oder körperlichen haben die Mitarbeiter hier eine seelische Behinderung. Depressionen, Borderline-Syndrom, manische oder bipolare Störungen: Viele Menschen leiden einmal im Leben an einer psychischen Erkrankung - und erholen sich davon. Doch für manche Menschen - Werkstattleiterin Ingrid Baumann-Rüsch schätzt die Zahl auf rund ein Viertel der Betroffenen - wird eine Rückkehr ins normale Leben praktisch unmöglich, sie brauchen dauerhaft Unterstützung. Noch schwieriger ist jedoch die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt.
"Eine Tagesstruktur und eine sinnvolle Beschäftigung sind für diese Menschen sehr wichtig", erklärt Baumann-Rüsch. Denn Arbeit bedeutet auch: Sinn. Viele der Mitarbeiter haben einen steilen Absturz hinter sich, sogar Akademiker verrichten in den Werkstätten einfache Tätigkeiten. In Böfingen finden sie ein Netz und manchmal auch die Chance für einen Neuanfang. Doch nur wenige, so die Werkstattleiterin, finden den Weg zurück. Zu stark ist die Beeinträchtigung durch die Erkrankung, zu groß die durch die Medikamente. Und so wird in Böfingen, auch wenn die Mitarbeiter in Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, auch etwas anders gearbeitet als in einer normalen Werkstatt: Es gibt mehr Pausen, fünf jeden Tag, nicht alle Mitarbeiter schaffen es, die volle Zeit zu arbeiten. Langsamer geht es ohnehin zu. Doch was die Werkstätten verlässt, muss laut der Leiterin qualitativ gut sein. In dieser Hinsicht unterscheidet die Böfinger Werkstätte nichts von einem normalen Betrieb.
Die Textilverarbeitung ist Frauensache in dem Betrieb. An den Maschinen nähen die Mitarbeiterinnen Arztkittel, gereinigte Thrombosestrümpfe werden sortiert, auch die Arbeitskleidung der "Lebenshilfe"-eigenen JU-Märkte wird hier geflickt. Angelika Specht ist seit elf Jahren dabei. Die 43-Jährige leidet seit ihrem 17. Lebensjahr an einer "schizo-affektiven Psychose". Sechs Tabletten muss sie jeden Tag schlucken, Psychopharmaka, doch immer wieder bringen sie Schübe zurück in die Klinik.
Die Neu-Ulmerin Specht spricht offen über ihre Erkrankung. "Das bin ich, das ist ein Teil meines Lebens", sagt die grauhaarige Frau. Sie hat eine kaufmännische Ausbildung, doch die Krankheit, von der auch schon ihre Mutter betroffen war, machte allen Karriereplänen einen Strich durch die Rechnung. Die Arbeit bedeutet ihr viel. "Wenn ich längere Zeit Urlaub habe, tut mir das nicht gut", gesteht sie. Sie brauche die Aufgabe.
Die Gruppenleiter brauchen ein Gespür für ihre Mitarbeiter
Freilich kann die Arbeit der psychisch kranken Beschäftigten in Böfingen nicht ohne Betreuung stattfinden. Laut Werkstattleiterin Baumann-Rüsch müssten die Gruppenleiter genau aufpassen, in welcher Verfassung die Mitarbeiter morgens sind - nicht immer sind alle Tätigkeiten möglich. "Man muss sie auch richtig einweisen", berichtet Lager-Gruppenleiter Hakan Uygun.
Wenn man alles langsam und in kleinen Schritten erkläre, machten fast alle ihren Job richtig gut. Ganz ohne Zwischenfälle geht es aber nicht. "Manchmal verliert jemand den Überblick", so Uygun. Einmal habe ein Mitarbeiter, der an einem manischen Schub litt, auf eigene Faust begonnen, das ganze Lager umzuorganisieren. "Doch mit so etwas muss man rechnen."
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