Notärzte schlagen Alarm: "Muss erst jemand sterben?"
Im Kreis Neu-Ulm schlagen Notärzte Alarm: Sie wissen nicht mehr wohin mit schwer verletzten Patienten. Denn bei Notfällen fehlen immer öfter Kapazitäten in den Kliniken. Von Roland Ströbele
Landkreis Die Notärzte im Landkreis Neu-Ulm wissen allmählich nicht mehr wohin mit schwer kranken oder schwer verletzten Patienten. Infolge der Gesundheitsreform und den damit verbundenen Einsparungen ist es inzwischen auch hierzulande keine Seltenheit mehr, dass Notärzte im Krankenwagen neben einem Schlaganfall- oder Herzinfarktpatienten sitzen und Kliniken abtelefonieren, die zur lebenswichtigen Hilfe in der Lage sind. Dabei gehen wichtige Minuten verloren, die über Leben und Tod entscheiden können. Dr. Max Weindler, Obmann der zehn Notärzte im Landkreis Neu-Ulm fürchtet den Tag, "an dem mir ein Patient unter der Hand wegstirbt, während ich noch eine Klinik suche, die helfen kann". Jetzt schlägt der Mediziner Alarm. Es fehlen Bettenkapazitäten und ärztliches Fachpersonal, die nicht nur zu Spitzenzeiten helfen können.
Die Situation im Landkreis Neu-Ulm und auch im benachbarten Ulm spitzt sich nach den Worten von Dr. Weindler immer mehr zu. Schuld daran sind nach Weindlers Worten nicht die Kliniken, sondern die politischen Vorgaben und die Bettenbedarfsplanung. In deren Folge sind vorwiegend aus Kostengründen Kapazitäten in den Kliniken abgebaut worden, die nun zu Spitzenzeiten dringend fehlen und den Notärzten Sorgenfalten auf die Stirn treiben.
Für Weindler und seine neun Kollegen im Landkreis Neu-Ulm ist es absolut keine Seltenheit mehr, dass sie nur unter größten Schwierigkeiten bei chirurgischen und internistischen Notfällen eine Klinik finden, die Patienten aufnehmen. "Es wird immer schwieriger, einen Patienten los zu werden", beschreibt Weindler die sich dramatisch zuspitzende Situation. Notärzte sitzen neben ihren Patienten und telefonieren mit der Rettungsleitstelle in der Hoffnung, einen Klinikplatz zu finden. Dabei gehen wertvolle Minuten verloren, die Patienten das Leben kosten können.
"Intensivbetten sind knapp, nicht nur hier in der Region", beschreibt Weindler das Problem. Schuld daran seien nicht die Krankenhäuser, sondern die Politiker, die Belegungspläne und Bettenkapazitäten nach "diffusen Statistiken" erstellen. Die Politik orientiere sich an den durchschnittlichen Fallzahlen, während die Notärzte die medizinische Versorgung auch zu Spitzenzeiten gewährleisten müssten. "Ich kann doch einem Patienten nicht erklären, dass er gerade Opfer der Statistik wird", schimpft Weindler.
Bei der Aufarbeitung dieser Problematik fühlen sich die Notärzte allein gelassen von der Politik, die damit beschäftigt sei, "die Situation schönzureden", kritisiert Weindler und fordert ein Umdenken. Es müssten die Kapazitäten bereitgestellt werden, die für chirurgische, internistische Notfälle erforderlich seien.
Dies aber ist nicht das einzige Problem, das den Notfallmedizinern im Landkreis zu schaffen macht: Die Folgen des immer mehr um sich greifenden Koma-Saufens beschäftigen die Notärzte zusehends und bindet personelle Kapazitäten, ganz zu Schweigen von dem damit verbundenen immensen finanziellen Aufwand. "Der Einsatz für eine Schnapsleiche kostet den Krankenbeitragszahler locker mal 1000 Euro", schätzt ein anderer Notarzt aus einer langjährigen Praxis.
Für die ständig steigenden Einsatzzahlen der Notärzte macht er aber auch die Hausärzte verantwortlich. Die seien immer weniger bereit, nachts auszurücken, um ihren Patienten zu helfen. Nicht mal der damit verbundene Mehrverdienst könne sie nach 21 Uhr locken, sie verweisen nach Auskunft des Insiders allzu gerne an den Notarzt, bevor sie selber zu ihren Patienten ausrücken. Der Mediziner wählt ein hartes Wort, wenn er die Ursache für die Einsatzmüdigkeit vieler Hausärzte nennt. "Faulheit".
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