Russlands Superstar Bilan lässt die No Angels abstürzen
Vom Pop-Himmel in die Grand-Prix-Hölle: Die No Angels sind beim Eurovision Song Contest abgestürzt. Den Sieg holte sich erstmals Russland, während Deutschlands Pop-Engel teilen sich mit Polen und Großbritannien den letzten Platz.
Belgrad (dpa) - Vom Pop-Himmel in die Grand-Prix-Hölle: Die No Angels sind beim Eurovision Song Contest (ESC) in Belgrad abgestürzt.
Gerade mal 14 Punkte und ein gemeinsamer letzter Platz mit Großbritannien und Polen - der Auftritt auf der Eurovisions-Bühne holte die Pop-Engel ziemlich unsanft auf den Boden zurück. Dabei hatte das Quartett zuvor sogar noch einen Sieg für möglich gehalten und auf die Zugkraft seines prominenten Namens gehofft. Als Sieger waren sie - damals noch zu fünft - im Jahr 2000 aus der Castingshow "Popstars" hervorgegangen und zur erfolgreichsten deutschen Girlband aufgestiegen. Nummer-Eins-Hits und Erfolgsalben machten die No Angels auch im Ausland bekannt. Doch diesmal hatten sie auf Europas Musikbühne keine Chance - der Triumph blieb Russland vorbehalten.
Die Schmach von Belgrad war für Experten keine Überraschung: "Das ist ein Radiosong und kein Lied, zu dem man auf der Bühne eine spektakuläre Show abliefern kann", sagte Irving Wolther, Dozent an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover und ESC-Kenner. Die rothaarige Lucy, die blonde Sandy und die beiden dunkelhaarigen Nadja und Jessica hatten ihr balladesk angehauchtes Lied "Disappear" in sexy blauen und violetten Outfits vorgetragen, auf High-Heels, mit Windmaschine und Pyrotechnik. Doch im Vergleich zur wild über die Bühne wirbelnden und tolle Effekte aufbietenden Konkurrenz wirkte ihr Auftritt wenig originell, der Song zu schwach, um im Gedächtnis haften zu bleiben - die frühe Startnummer vier kam erschwerend hinzu.
Auch nach Ansicht von Alexander Heiler, Gründer und Ex-Mitglied der Pop-Gruppe Wind, sind die No Angels schlecht betreut und beraten worden. "Sie haben bei der Präsentation völlig überdreht. Es ist wichtig, das die Betreuung vor Ort so funktioniert, dass die Band am betreffenden Abend auf den Punkt singt. Vergleichbar ist dies mit der Betreuung eines Hochleistungssportlers vor einem Wettkampf", sagte "Ala" Heiler in Stuttgart der Deutschen Presse-Agentur dpa. Wind hatte 1985 und 1987 den 2. Platz beim Grand Prix erreicht. Deutschland habe sich mit dem Titel außerdem zu blass präsentiert. "Dem Lied fehlte die Identität." Der Titel gebe nichts her und hätte aus jedem beliebigen Land stammen können, meinte Heiler.
Für Russlands Gewinner Dima Bilan war der vorletzte Auftritt im 25-Nationen-Finale auf jeden Fall von Vorteil. Letztendlich dürfte aber nach Ansicht des Experten Wolther die "gewaltige PR-Kampagne" Bilans ausschlaggebend gewesen sein. Millionen seien geflossen, um Russlands Superstar schon im Vorfeld europaweit bekanntzumachen. Kein Geringerer als US-Erfolgsproduzent Timbaland produzierte die Pop-Ballade "Believe", Eiskunstlauf-Olympiasiger Jewgeni Pluschenko tänzelte um Bilan herum, ein Geigen-Virtuose begleitete ihn auf einer echten Stradivari. "Russland will den Contest unbedingt nach Moskau holen. Die sind hungrig!", hatte NDR-Unterhaltungschef Ralf Quibeldey schon vorher gesagt. Bereits 2006 hatte sich Bilan Europas Musikkrone aufsetzen wollen, war aber nur Zweiter nach Lordi geworden.
Beim federführenden Norddeutschen Rundfunk (NDR) dürfte in den nächsten Wochen darüber diskutiert werden, wie sich derartige Blamagen künftig vermeiden lassen. Der letzte Tiefpunkt liegt mit Gracias letztem Platz gerade drei Jahre zurück, auch danach folgten nur ein 15. Platz mit Texas Lightning (2006) und ein 19. mit Roger Cicero (2007). Dass Deutschland so wenig Punkte bekam, könnte nach Ansicht Wolthers auch am Halbfinal-Modus gelegen haben. 43 Länder nahmen ursprünglich am 53. ESC teil, doch bis auf die "Big Four"-Geldgeber Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien sowie den Gastgeber mussten sich alle für die Endrunde qualifizieren. "In Ländern, die rausgeflogen sind, ist das Interesse am Finale gering und das TV-Publikum setzt sich anders zusammen", meinte Wolther.
So gab es für Deutschland nicht einmal Nachbarschaftspunkte aus Belgien oder den Niederlanden und gerade mal zwei aus der Schweiz - deren Kandidaten hatten den Sprung in die große Show nicht geschafft. Dagegen konnten sich die osteuropäischen, aber auch die skandinavischen Länder über Punkte von ihren Nachbarn freuen. Doch abgesehen von allen Zuneigungen: Wer auf dem Eurovisions-Parkett bestehen will, muss auffallen. Die Konkurrenz in der Belgrad-Arena war stark und breitgefächert. Die meisten Kandidaten setzten auf Showeffekte, sparten nicht an Pyrotechnik und originellen Einlagen.
Voller Inbrunst schmetterte Sieger Bilan auf der Aftershowparty noch einmal seinen Titel. Den No Angels war die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, doch immerhin zeigten sie sich als gute Verlierer und kamen zur Feier. "Wir haben uns mehr gewünscht. Die Reaktion auf uns war toll, wir sind immer noch eure Engel!", hatte Lucy bereits den TV-Zuschauern verkündet.
Für die vier ging es am Sonntag gleich weiter zum nächsten Grand Prix - zur Formel 1 in Monaco. Auch danach hätten sie jede Menge Pläne, arbeiteten am neuen Album, hatten sie schon vor der Niederlage verkündet. Auch Russland-Star Bilan arbeitet an neuen Alben, spanischsprachig und englisch - er peilt nun die internationale Karriere an. Für die No Angels, die erst im vergangenen Jahr ihr Comeback gestartet hatten, vermuteten viele nach einer Niederlage das endgültige Aus.
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