In der Türkei nehmen tätliche Angriffe auf Ärzte zu
Ein Vater wird gewalttätig, weil sich ein Arzt seiner Meinung nach nicht gut genug um sein Kind kümmert. Solche Fälle gibt es in der Türkei immer häufiger.
Familie K. war außer sich vor Wut, dass der diensthabende Arzt in der Notaufnahme eine Pause machte, nachdem er ihrem Kind eine Infusion angelegt hatte. Das kleine Mädchen hatte Fieber und der Arzt handelte ihrer Ansicht nach nicht schnell genug. Vater K. folgte dem Arzt vor die Tür und beschimpfte ihn und einen anderen Arzt, der einzuschreiten versuchte. Dann bückte er sich, hob einen Pflasterstein von der Straße auf und schlug dem zweiten Arzt den Schädel ein. Dieser Vorfall ereignete sich vor einigen Tagen im südosttürkischen Urfa. Doch es hätte überall in der Türkei sein können.
Bald könnten Polizisten in den Krankenhäusern stehen
Gewalt gegen Ärzte und Krankenschwestern ist in den letzten Jahren so alltäglich geworden, dass die Regierung nun Polizei in den Notaufnahmen postieren will. Den türkischen Medizinern ist das zu wenig: Sie demonstrierten gerade erst landesweit gegen die Patientengewalt und die Gesundheitspolitik der Regierung. Mehrmals täglich wird ein Arzt oder eine Krankenschwester in der Türkei tätlich angegriffen. Das Gesundheitsministerium verzeichnete in den vergangenen sechs Jahren rund 21.000 solche Angriffe auf Krankenhauspersonal, wie eine parlamentarische Anfrage der Opposition ergab. Die rund 45.000 Fälle von Beleidigung und Bedrohung sind da gar nicht mitgerechnet.
Die Ärztekammern machen für die Gewalt die Gesundheitspolitik der Regierung verantwortlich, die von den Medizinern vor allem Quantität und Effizienz verlange. Die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens habe die Beziehungen zwischen Ärzten und Patienten zu einem Kundschaftsverhältnis degradiert, in dem der Kunde hohe Ansprüche stelle und Leistungen einfordere, statt sich dem Arzt anzuvertrauen, kritisieren die Mediziner. Zudem seien die Krankenhäuser hoffnungslos überlastet und bräuchten dringend mehr Personal.
Drei Minuten habe er in Stoßzeiten pro Patient, berichtet ein junger Arzt an einer Kinder-Notaufnahme in Istanbul. „Drei Minuten, um das Kind zu behandeln und vielleicht mit einem Scherz abzulenken, um die Fragen der Familie zu beantworten, die noch viele Fragen mehr hätte“, klagt Mahmut Sami Yildiz auf Twitter. Und immer wieder platze ein wütender Vater ins Behandlungszimmer, der nicht länger draußen warten wolle und sofortige Behandlung für sein eigenes Kind fordere. So könne es nicht weitergehen, sagen die Medizinerverbände.
Selbst ein Alarmsystem hat die Lage nicht verbessert
Auch ein vor einigen Jahren eingeführtes Alarmsystem an den Krankenhäusern hat die Patientengewalt nicht eindämmen können. Die Ärztekammern fordern ein Gesetz zum Schutz der Mediziner, das Angriffe auf Ärzte und Krankenschwestern mit zwei bis vier Jahren Haft ahnden würde, und die Aufstockung des medizinischen Personals an den Krankenhäusern.
In Urfa erlangte der mit Pflastersteinen angegriffene Arzt nach mehreren Tagen auf der Intensivstation inzwischen wieder das Bewusstsein. Sein Angreifer, der Familienvater K., sagte dem Haftrichter inzwischen, er verspüre keinerlei Reue. Der Arzt habe Prügel verdient, weil er sich nicht richtig gekümmert habe, sagte auch Mutter K. zu türkischen Reportern. Denn: Das Kind habe ja immer noch Fieber.
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