Warum haben Gerüchte im Internet so viel Macht?
Angebliche Vergewaltigungen durch Asylbewerber, ein erfundener toter Flüchtling vor dem Lageso - Gerüchte im Internet haben eine gefährliche Macht. Warum glauben sie so viele?
Gerüchte über angebliche Vergewaltigungen durch Asylbewerber tauchen fast täglich irgendwo in Deutschland auf. Menschen stellen solche Behauptungen im Internet auf, Hunderttausende teilen die Meldungen über Facebook oder Twitter und so entwickeln Lügen eine unglaubliche Macht. Ähnlich war es im Fall des erfundenen toten Flüchtlings vor dem Berliner Lageso. Der Post eines Helfers löste in ganz Deutschland große Empörung über die Flüchtlingspolitik aus - bis er sich als Lüge heraustellte.
Warum glauben Menschen solchen Behauptungen von Fremden im Internet, obwohl sich solche Posts schon so oft als falsch hergestellt haben? Bei der Beantwortung dieser Frage blickt Kommunikationswissenschaftler Christian Schwarzenegger von der Universität Augsburg in die Geschichte zurück. "Gerüchte dieser Art hat es immer gegeben", sagt er. Da sei kein neues Phänomen. Doch wenn es in Berlin früher solchen Tratsch gab, hat dieser es selten über die lokalen Grenzen geschafft. Mit dem Internet hat sich das geändert. Hierüber verbreiten sich Gerüchte schnell in ganz Deutschland - und lassen sich kaum wieder einfangen.
Welche Gerüchte im Internet halten Menschen eher für wahr?
"Menschen halten Meldungen dabei eher für wahr, wenn sie der eigenen Einstellung entsprechen", erklärt Kommunikationswissenschaftler Schwarzenegger. Im Internet finde sich für jede Einstellung eine Bestätigung - so könnten sich Ansichten zementieren. Das passiere unabhängig vom politischen Spektrum. Auch eine hohe Bildung immunisiere nicht automatisch.
Dass sich Menschen so sehr in eine Einstellung hineinsteigern können, erklärt die Kommunikationswissenschaft auch mit der sogenannten "echo chamber" - ins Deutsche übersetzt also mit einer "Echo-Kammer". Dabei bewegen sich Menschen in einem Milieu, indem nur Nachrichten vorhanden sind, die der eigenen Einstellung entsprechen.
Schwarzenegger nennt Pegida als Beispiel. Hier herrscht die Meinung vor, dass Flüchtlinge kriminell sind und Medien lügen. Wer diese Meinung äußert, wird von allen anderen bestätigt. Gegenläufige Meinungen sind innerhalb dieses Systems nicht vorhanden. So wird eine Ansicht zur Wahrheit erhoben.
Diskussionen in sozialen Netzwerken basieren oft auf Reizwörtern
Das Misstrauen gegenüber Medien und öffentlichen Stellen spielt ebenfalls eine Rolle. "Wenn diese ein Gerücht dementieren, dann adeln sie es erst", sagt Schwarzenegger. Denn wer dem Gerücht glaube, der stelle sich dann die Frage: Wenn nichts dran wäre, warum müssen die Medien dann überhaupt darauf reagieren?
Für die Macht von Gerüchten im Internet ist laut Schwarzenegger ebenfalls entscheidet, dass in sozialen Netzwerken eine hohe Schnelligkeit vorherrscht. Posts werden oft schnell geteilt, ohne sie zu hinterfragen. Danach seien die Menschen schon für die nächste Empörung bereit.
Diese Schnelligkeit sei auch ein Grund dafür, warum Diskussionen in sozialen Netzwerken oft nicht sachlich verlaufen. "Viele Menschen reagieren emotional im Affekt", sagt Schwarzenegger. Bei anderen Formen der Debatten müsse mehr Zeit investiert werden. Bis zum Schreiben eines Briefes sei die erste Empörung beispielsweise oft wieder abgeklungen - dadurch könne die Antwort reflektierter ausfallen.
Außerdem hat Kommunikationswissenschaftler Schwarzenegger bei seiner Forschung festgestellt, dass Diskussionen in sozialen Netzwerken oft auf Reizwörtern basieren. "Die Menschen sehen bestimmte Wörter in der Überschrift und reagieren sofort, ohne den Beitrag zu lesen", sagt er. Anonymität im Internet falle seinen Erkenntnissen nach dagegen nicht stark ins Gewicht. Menschen würden unter Klarnamen ähnlich emotional reagieren wie unter einem Pseudonym.
Wie lassen sich Gerüchte im Internet aufhalten und Diskussionen versachlichen?
Gibt es Mittel, Gerüchte aufzuhalten und Diskussionen zu versachlichen? "Gerüchte verbreiten sich über das Internet so schnell, dass sie sich kaum bekämpfen lassen", sagt Schwarzenegger. Und an einer Versachlichung von Diskussionen seien im Internet nicht alle Menschen interessiert - schließlich verfolgen manche politische Ziele.
Schwarzenegger hält daher nicht das Bekämpfen von vorhandenen Gerüchten für entscheidend, sondern eine höhere Medienkompetenz. Menschen müssten lernen, Nachrichten im Internet richtig einzuschätzen. Schwarzenegger hält soziale Netzwerke als Diskussionsplattform nicht für gescheitert. Er sagt: "Die Entwicklung des richtigen Umgangs braucht Zeit - man muss bedenken, dass Facebook noch nicht viel älter ein Jahrzehnt ist."
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