"Schwips-Rede": Kuschen die Medien vor Sarkozy?
Bei Sarkozy traut man sich nicht.Aber wenn ich das Gleiche gemacht hätte, glauben Sie mir, es wäregesendet worden, sagt Ségolène Royal auf einer Wahlveranstaltung in derProvinz voll bitterer Häme. Einmal mehr sah sich die sozialistischeSpitzendame, die im Präsidentschaftswahlkampf Nicolas Sarkozy unterlegen war, in ihrer Meinung bestätigt, dass Frankreichs Medien vor dem neuen Präsidenten feige kuschten.
Von Joachim Rogge
Paris - Bei Sarkozy traut man sich nicht. Aber wenn ich das Gleiche gemacht hätte, glauben Sie mir, es wäre gesendet worden, sagt Ségolène Royal auf einer Wahlveranstaltung in der Provinz voll bitterer Häme. Einmal mehr sah sich die sozialistische Spitzendame, die im Präsidentschaftswahlkampf Nicolas Sarkozy unterlegen war, in ihrer Meinung bestätigt, dass Frankreichs Medien vor dem neuen Präsidenten feige kuschten, während ihre Fehltritte stets genüsslich ausgewalzt und breit kommentiert würden.
Gänzlich falsch ist die Einschätzung nicht. Und die Posse um ein kaum eine Minute langes Video, das Frankreichs neuen Präsidenten mit offenkundig kräftiger Schlagseite auf dem Heiligendammer Gipfel zeigt, ist durchaus geeignet, Royals bitter-ironische Feststellung zu untermauern. Auf einer Gipfel-Pressekonferenz nach einem Treffen mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin präsentierte sich Sarkozy, zumindest zu Beginn, in einem, sagen wir freundlich, arg derangierten Zustand. Mit tapsigen Schritten näherte sich Sarkozy dem Rednerpult, setzte ein schiefes Grinsen auf, schwankte, hampelte, brabbelte, wirkte völlig umnebelt.
Wäre es nach Frankreichs Medien gegangen, hätten die Franzosen die kuriose Szene gewiss nie gesehen. In den Nachrichtensendungen der großen französischen TV-Sender wurden nur Ausschnitte aus dem späteren Verlauf der Pressekonferenz gezeigt, als sich Sarkozy wieder gefangen hatte. Auch in den Zeitungen fand sich kein Sterbenswörtchen über die seltsame Verfassung des Staatschefs. Doch dann tauchten die Bilder, die ein belgischer öffentlicher Sender zuvor ausgestrahlt hatte, im Internet auf. Danach brachen alle Dämme.
Augenzwinkernd hatte der belgische TV-Moderator Eric Boever angemerkt, dass beim gemeinsamen Essen von Sarkozy mit Putin offensichtlich nicht nur Wasser getrunken worden sei - eine Einschätzung, die im Internet sofort die Runde machte. Sarkozy völlig breit, Wodka-Sarkoff lauteten die bissigen Kommentare. Endlich hat auch Frankreich seinen Jelzin, hieß es. In Windeseile stieg der angeblich beschwipste Sarkozy zum Top-Thema an Frankreichs Tresen auf. Schließlich, mit ein paar Tagen Verspätung, bequemten sich auch die Großen der staatstragenden französischen Presse, das heikle Thema mit spitzen Fingern aufzugreifen.
Das offizielle Paris ist schwer pikiert. Derart hoch gingen die Wogen, dass der belgische Fernsehmann sich inzwischen bei der französischen Botschaft in Brüssel meldete und bat, dem Élysée seine Entschuldigung für die flapsige Bemerkung zu übermitteln. Offiziell verweigert der Élysée-Palast jeden Kommentar: Wir äußern uns aus Prinzip nicht zu schlechten Scherzen.
Die Franzosen diskutieren indes munter weiter, ob Sarkozy tatsächlich betrunken war. Auf französische Journalisten, die bei dem denkwürdigen Auftritt dabei waren, wirkte Sarkozy indes nicht beschwipst, sondern eher wie jemand, der nach einer Überdosis Vitaminen oder Aufputschmitteln stark unter Strom stand. Sarkozy ist, ähnlich wie Putin, bekennender Antialkoholiker. Ich vertrage es einfach nicht, sagt der Präsident, der an Migräneanfällen leidet.
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