Gut gemeint und schwer umstritten
Weder das Alter noch die sexuelle Ausrichtung, eine Behinderung oderdie Religion dürfen zu Benachteiligungen in irgendeinem Lebensbereichführen, nach der Reform der Anti-Diskriminierungsrichtline. Doch deren Praxis hat es in sich. Von Detlef Drewes
Von Detlef Drewes
Brüssel - Für Vladimir Spidla geht es um einen "Generalangriff auf jede nur erdenkliche Diskriminierung in Europa". Kritiker des EU-Sozialkommissars nennen seinen Plan eine "sinnlose Verschärfungsorgie" und "ideologischen Müll". Die Reform der Anti-Diskriminierungsrichtlinie spaltet Europas Politiker und Sozialpartner.
Nur drei Jahre nachdem Deutschland den ersten Entwurf der EU-Richtlinie nach schweren Geburtswehen in ein eigenes Allgemeines-Gleichstellungs-Gesetz (AGG) gegossen hat, drängt Spidla auf eine Verschärfung.
Und die hat es in sich. Weder das Alter noch die sexuelle Ausrichtung, eine Behinderung oder die Religion dürfen zu Benachteiligungen in irgendeinem Lebensbereich führen. Auch die individuelle Weltanschauung muss geachtet werden. "Das klingt gut", sagt Manfred Weber, Innen-Experte der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. "Die Praxis aber hat es in sich."
Tatsächlich dürfte eine katholische Schule nicht länger ein muslimisches Kind mehr abweisen. Die Krankenversicherer müssten gleiche Tarife für Männer und Frauen errechnen, was zu erheblichen Preissteigerungen für männliche Patienten führen würde, da die Kosten für weibliche Versicherte höher liegen. Inzwischen habe man aber dem ersten Entwurf des Kommissars "die Zähne gezogen", heißt es vor allem bei den christkonservativen Straßburger Abgeordneten, die in der kommenden Woche auf eine Mehrheit für Korrekturen hoffen. Die aber ist ungewiss, weil SPD und Grüne von einer "großen Vereinfachung" sprechen, wenn 27 verschiedene nationale Gesetze "endlich zusammengeführt werden", wie es der Sozialdemokrat Wolfgang Kreissl-Dörfler ausdrückt.
Die gefundenen Kompromisse aber dürften vor allem eines werden: ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Gerichte, wie Beispiele zeigen:
In ihrem Kernbereich dürfen Kirchen Andersgläubige ablehnen. Betreiben sie aber Schulen oder Kliniken, gilt dies als "allgemeine wirtschaftliche Tätigkeit". Hier wäre die Ablehnung beispielsweise einer muslimischen Krankenschwester eine (verbotene) Diskriminierung. Aber wo endet der Kernbereich?
Versicherungen dürfen in allen Bereichen unterschiedliche Tarife für Männer und Frauen anbieten, sofern es dafür objektive Kriterien gibt. Die aber werden umstritten sein.
Die Pressefreiheit steht in jedem Fall höher als die Anti-Diskriminierung. Im umgekehrten Fall hätten die Mohammed-Karikaturen nie erscheinen dürfen. Gelöst sei damit wenig, bis gar nichts, fürchten in Brüssel viele.
So soll es künftig einem privaten Wohnungsvermieter erlaubt sein, einen Behinderten abzulehnen, weil die Aufwendungen zur entsprechenden Umgestaltung der Räume zu hoch sind. Ein gewerblicher Vermittler (Makler) aber darf einen entsprechenden Interessenten nicht abweisen. "Das klingt klarer als es ist", heißt es in Brüssel.
Bestätigt werden diese latenten, aber auch offenen Bedenken durch die deutsche Praxis. Erst vor wenigen Tagen machte ein Aachener Gericht klar, dass Diskriminierung rechtlich schwer zu fassen ist. In diesem Fall hatte ein Hausverwalter einem farbigen Paar die Wohnungsbesichtigung verweigert, weil er "nicht an Neger, äh... Schwarzafrikaner und Türken vermieten" werde.
Die Klage gegen den Hausverwalter gehe ins Leere, so die Juristen, da nur der Wohnungseigentümer diese Diskriminierung aussprechen könne. Was er aber nicht getan habe.
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