Die Sehnsucht nach einem Retter
So viel Freude war nie und so viel Krise selten. Barack Obama beginnt seine Präsidentschaft in einer historischen Ausnahmesituation, die Ängste und Hoffnungen auf eine nie gekannte Art in sich vereinigt. Von Markus Günther
Von Markus Günther
Washington - So viel Freude war nie und so viel Krise selten. Barack Obama beginnt seine Präsidentschaft in einer historischen Ausnahmesituation, die Ängste und Hoffnungen auf eine nie gekannte Art in sich vereinigt. Noch weiß niemand, ob der Höhepunkt der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise hinter uns liegt und eine wenigstens mäßige Erholung in absehbarer Zeit stattfinden wird.
Nicht ausgeschlossen, dass die Krise viel tiefer greift und für die großen Volkswirtschaften der Welt desaströse Jahre gerade erst beginnen. Doch gleichzeitig wird die Amtseinführung des neuen amerikanischen Präsidenten - in den USA, aber doch auch rund um den Globus - mit maßlosen Hoffnungen und Erwartungen begleitet. Das ist die paradoxe Ausgangslage am Vorabend der Ära Obama.
Wieso werden so extreme Hoffnungen auf diesen Politiker projiziert? Darauf gibt es viele Antworten. Die aufgestauten Erwartungen nach den langen, am Ende deprimierenden Jahren mit George W. Bush spielen sicher eine große Rolle. Jeder andere, der jetzt auf Bush folgen würde, könnte auf einen globalen Sympathiebonus zählen. Auch Hillary Clinton als Präsidentin würde jetzt viel Begeisterung auslösen. Andererseits ist es doch auch gerade die Figur Obama selbst, die Interesse und Erwartung auf sich zieht, wie es kein anderer könnte.
Obamas Aufstieg und Wahlkampf - das war immer viel mehr eine Person als ein Programm. Er selbst war und ist die Botschaft. Seine Biografie spiegelt die moderne, mobile, multikulturelle Welt wider, sein sozialer Aufstieg illustriert in ganz neuer Form den alten amerikanischen Traum. Er predigt die Hoffnung und ist selbst ein Beispiel gelebter Hoffnung.
Doch zum "Bush-Bonus" und zum "Obama-Faktor" kommt eben noch ein dritter Aspekt hinzu: In der beispiellosen Finanz- und Wirtschaftskrise wächst die Sehnsucht nach einem Retter. Wie soll man sich noch zurechtfinden in einer Welt, in der täglich neue Milliardensummen, die sich keiner vorstellen kann, mal als Katastrophennachricht, mal als "Konjunkturpaket" umhergeistern?
In denen grundsolide Banken von einem Tag auf den anderen pleitegehen können? Die Erwartungen, die sich an Obama richten, haben viel zu tun mit der Verunsicherung, die in den letzten Monaten entstanden ist, seit sich Vermögenswerte in Luft auflösen, Arbeitsplätze vernichtet werden und eine schlechte Nachricht die andere jagt.
Kann Obama den Erwartungen überhaupt gerecht werden? Das ist die naheliegende Frage, nachdem er selbst die Erwartungen manchmal bis ins Übermenschliche gesteigert und sich bisweilen bis ins Messianische zu einem neuen Politikertypus stilisiert hat, der eine bessere, gerechtere Welt für alle verspricht. Manche Enttäuschung ist damit programmiert. Doch man wird ihn am Ende, der überladenen Rhetorik zum Trotz, doch an Maßstäben des politisch Möglichen messen müssen und nicht an übermenschlichen Erwartungen.
In den Monaten zwischen Wahlsieg und Amtseinführung hat Obama die ersten Schritte getan, die aufmerksam verfolgt worden sind und vielleicht erste Hinweise auf seinen Politikstil geben. Auffallend ist vor allem das Bewusstsein der eigenen Grenzen und Defizite. Die Republikaner (und vor ihnen auch die parteiinternen Gegner Obamas) hatten ja durchaus recht: Mit so wenig politischer Erfahrung wie Obama ist in den letzten 80 Jahren niemand Präsident geworden.
Doch Obama geht mit seinen Erfahrungsdefiziten klug um: Er holt sich die besten Mitarbeiter, die klügsten Köpfe, die erfahrensten Ratgeber. Das Team, das er zusammengestellt hat, ist in Kompetenz, Vielseitigkeit und Erfahrung eindrucksvoll.
Dennoch, allzu große Schlüsse kann man aus Obamas Personalentscheidungen nicht ziehen. Die Regierung zusammenzustellen war vergleichsweise leicht; sie zu führen und die natürlichen Konflikte einer solchen Regierung produktiv zu nutzen, ist die eigentliche Herausforderung. Obama bleibt vorläufig, wenn man ehrlich ist, ein politischer Novize. Sein maßloser Ruhm rund um die Welt ist immer noch ein Ruhm auf Kredit. Seine größte Leistung ist bislang, dass er die große gesellschaftliche Koalition aufgebaut hat, der er seinen Wahlsieg verdankt.
Er hat Millionen inspiriert und mitgerissen, er hat gedankliche Blockaden aus dem Weg geräumt. Das alles ist großartig, hat aber mit praktischer Politik nichts zu tun. Erst jetzt beginnt das eigentliche politische Abenteuer, auf das Obama die USA und die Welt eingeschworen hat. Statt Hoffnungsrhetorik ist jetzt Krisenmanagement gefragt. Statt Träume in die Welt zu setzen, müssen jetzt schmerzhafte Entscheidungen getroffen werden.
Obamas Wahlsieg war schon für sich genommen ein historischer Durchbruch und Neuanfang. Doch erst der Erfolg seiner Präsidentschaft wird darüber entscheiden, was dieser Durchbruch wirklich wert war.
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