Karadzic war angeblichperfekt getarnt
Schulterlanges weißes Haar, Vollbart und Brille: Der am Montagabend nach zwölf Jahren auf der Flucht festgenommene frühere bosnische Serbenführer Radovan Karadzic hatte sich nach Darstellung der serbischen Behörden fast perfekt getarnt. Gearbeitet hat er offenbar in einer privaten Arztpraxis.
Belgrad (dpa) - Nach 12 Jahren auf der Flucht ist einer der meistgesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher gefasst. Der wegen Gräueltatenwährend des Bosnien-Kriegs 1992 bis 1995 angeklagte frühere bosnischeSerbenführer Radovan Karadzic wurde am Montagabend in einem Vorort vonBelgrad verhaftet.
Ein serbischer Richter ordnete seineÜberstellung an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag an. Dortsoll dem 63-Jährigen wegen Völkermordes und Verbrechen gegen dieMenschlichkeit der Prozess gemacht werden. Am schwersten wiegt dabeidas Massaker von Srebrenica: Bei dem schlimmsten Kriegsverbrechen inEuropa seit dem Zweiten Weltkrieg hatten im Juli 1995 bosnisch-serbische Soldaten fast 8000 Muslime ermordet.
Die in wenigenTagen erwartete Auslieferung Karadzics ist neben der Verhaftung seinesfrüheren Militärchefs Ratko Mladic und des kroatischen SerbenführersGoran Hadzic eine der Hauptbedingungen für eine weitere AnnäherungSerbiens an die EU. Beobachter gehen davon aus, dass die erst seit zweiWochen in Belgrad amtierende neue Regierung unter Führungpro-europäischer Parteien auch Mladic und Hadzic dicht auf den Fersenist.
Die Verhaftung Karadzics löste weltweit Erleichterung aus.Der frühere US-Vermittler im Bosnien-Krieg, Richard Holbrooke, sagte:"Einer der schlechtesten Männer der Welt, der Osama bin Laden Europas,ist endlich gefasst worden."
Der politische Serbenführer imBosnien-Krieg hatte sich nach Darstellung der serbischen Behörden fastperfekt getarnt und sei deswegen nicht entdeckt worden. Der für dieZusammenarbeit mit dem UN-Tribunal zuständige Minister Rasim Ljajiczeigte ein Foto, auf dem Karadzic in dunkler Kleidung, mitschulterlangen weißen Haaren, einem weißen Vollbart und Brille zu sehenist. Er habe sein Aussehen von Grund auf verändert. Karadzic habe biszuletzt in einer privaten Arztpraxis in Belgrad gearbeitet und sichfrei in der Stadt bewegt. Er habe sich mit "alternativer Medizin"beschäftigt. Der Gesuchte habe einen gefälschten Personalausweis aufden Namen Dragan Dabic besessen, sagte der Minister.
Das Gerichtin Den Haag hatte den früheren Serbenführer vor genau 13 Jahrenangeklagt, 12 Jahre war er untergetaucht. Nach Darstellung desTribunals wurde er in dieser Zeit von Helfershelfern in der serbischenArmee, in der Politik und im Geheimdienst gedeckt. Die in diesem Jahrgestürzte Regierung des nationalkonservativen Vojislav Kostunica solleine Verhaftung von Karadzic verhindert haben. Die Nachfolgeregierunghatte dagegen die Überstellung Karadzics an das Tribunal in Den Haagversprochen.
Die Verhaftung des Gesuchten wurde weltweit mitgroßer Freude und Genugtuung begrüßt. "Endlich, endlich! 13 Jahre!",jubelte Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner. Zugleich wurde dieHoffnung laut, dass Serbien nun zügig Fortschritte in Richtung EUmachen wird. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn sagte: "Die Verhaftungvon Karadzic ist ein historischer Augenblick für die internationaleJustiz und die Versöhnung auf dem westlichen Balkan."
BundeskanzlerinAngela Merkel nannte die Verhaftung eine "gute Nachricht für dengesamten Balkan". UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte: "Das ist einhistorischer Moment für die Opfer, die 13 Jahre lang gewartet haben,dass Karadzic vor Gericht gestellt wird."
Die Auslieferung wirdwegen des juristischen Prozederes frühestens Ende der Woche erwartet.Sein Anwalt Svetozar Vujacic kündigte Einspruch gegen eine ÜberstellungKaradzics nach Den Haag an. Dafür hat er drei Tage Zeit.
DerBeschuldigte schwieg zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. Er habe beiseiner ersten Vernehmung durch einen serbischen Staatsanwalt dasVerfahren gegen ihn als "Farce" bezeichnet, berichtete Anwalt Vujacic.Der früher korpulente Mann sei abgemagert und verweigere die Nahrung.Ein Gerichtsmediziner habe ihn in der Nacht untersucht und ihm einestabile gesundheitliche Verfassung bescheinigt.
Der Staatsanwaltfür Kriegsverbrechen, Vladimir Vukcevic, sagte, Karadzic sei im Zugeder Suche nach dem ebenfalls flüchtigen Mladic enttarnt worden. Polizeiund Geheimdienste hätten die Helfershelfer von Mladic observiert undseien auf Karadzic gestoßen. Die Spezialkräfte der Geheimdienste hättenzugegriffen, als sich Karadzic von einem Unterschlupf zu einem neuenVersteck begeben wollte.
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