Sebastian Kurz pokert hoch. So entschlossen Österreichs junger Kanzler die rechtspopulistische FPÖ aus seiner Regierung gedrängt hat, so riskant ist die Operation binnen weniger Stunden für ihn selbst geworden. Mit der für solche Krisen typischen Eigendynamik hat sich der Wind in Wien gedreht. Seit Dienstagabend, 18.30 Uhr, geht es nicht mehr um Heinz-Christian Strache, das unselige Video aus Ibiza und die Rolle der FPÖ in der österreichischen Politik. Es geht, verkehrte Welt, um die Zukunft des Kanzlers Kurz.
Statt auf Sicht zu fahren und das Land bis zur Wahl im September mit dem gegenwärtigen, um Strache reduzierten Kabinett halbwegs routiniert zu verwalten, hat der Regierungschef sich für die radikalste Lösung entschieden, dem umstrittenen Innenminister Herbert Kickl den Stuhl vor die Tür gesetzt und die übrigen Minister mit FPÖ-Parteibuch gleich mit aus seiner Regierung getrieben. Das kann man konsequent nennen, zumal nach der Vorgeschichte vom Wochenende. Man kann es aber auch reichlich naiv nennen, weil der bislang unangefochtene Kurz sich damit ohne Not selbst geschwächt hat. Sollten die FPÖ und weite Teile der Opposition am Montag mit einem erfolgreichen Misstrauensantrag gegen ihn gemeinsame Sache machen, ginge Kurz nicht als amtierender Kanzler in den Wahlkampf, sondern als gestürzter Kanzler.
Sebastian Kurz ist der populärste Politiker in Österreich
Das alleine wäre noch zu verschmerzen, der 32-Jährige ist das größte politische Talent seiner Generation und der populärste Politiker der Alpenrepublik. Seinem Land aber hat er mit seinem Kurs der kalkulierten Eskalation keinen Dienst erwiesen. Im ungünstigsten Fall wird das kleine, stolze Österreich in den nächsten Monaten von einem Kabinett aus Spitzenbeamten und externen Experten regiert. Schon beim EU-Gipfel in der kommenden Woche, bei dem die ersten Vorentscheidungen über den Kommissionspräsidenten fallen dürften, könnte anstelle von Kurz ein Übergangskanzler aus Wien mit am Tisch sitzen – ohne jedes politische Mandat, ohne jeden Einfluss, nur der Vollständigkeit halber. In Bundespräsident Alexander Van der Bellen, einem ehemaligen Grünen, hat Kurz deshalb einen mächtigen Unterstützer gefunden. Das Staatsoberhaupt will die Dinge nicht weiter eskalieren lassen und stärkt dem jungen Konservativen demonstrativ den Rücken.
Buchstäblich über Nacht ist Österreich aus einer Regierungskrise in eine Staatskrise geschlittert. Ausgang ungewiss. Innerhalb von zwei Jahren hat Kurz zwei Regierungen platzen lassen, erst als Außenminister, jetzt als Kanzler. Für beide Entscheidungen hatte er zwar gute Gründe – stabile Verhältnisse aber sehen anders aus. Die mutige Steuerreform etwa, auf die er sich erst im April mit den Freiheitlichen geeinigt hatte, liegt jetzt in weiten Teilen auf Eis. In einer neuen, stabileren Koalition mit den liberalen Neos ließe sich die zwar schnell reaktivieren, dazu aber müssen beide Parteien noch kräftig zulegen.
Macht ihn die Krise am Ende sogar stärker?
Nach einer atemberaubenden Karriere erlebt Kurz jetzt zum ersten Mal, wie unbarmherzig und unberechenbar alles Politische sein kann. Gut möglich, dass ihn das Stahlbad, durch das er gerade geht, abhärtet und er nach dieser Krise sogar gestärkt dasteht – weil die Wahl zu einem Triumphzug für die konservative ÖVP und ihren Vorsitzenden wird. Mehr noch als um sein Amt als Regierungschef aber muss Kurz sich um seinen Ruf als Reformer sorgen, der Österreich beherzt aus der Lethargie der großkoalitionären Jahre geführt hat. Die FPÖ hat ihn, so skurril das auch klingt, dabei nicht groß gestört. Für ein Bündnis mit den Sozialdemokraten allerdings wäre ein bekennender Erneuerer wie Kurz der falsche Kanzler.