Kommt jetzt die Abschlachtprämie?
Die Wirtschaftskrise wirbelt auch den Agrarmarkt kräftig durcheinander. Jetzt sollen mehr als eine Million Kühe geschlachtet werden. Von Rudi Wais
Berlin/Brüssel - Als Generalsekretär des Bauernverbandes ist Helmut Born Kummer gewohnt. Wie heftig die große Krise allerdings die Agrarmärkte durcheinanderwirbelt - davon, sagt Born, "sind auch wir überrascht worden".
In seltener Einigkeit mit der EU-Kommission verteidigt er deshalb eine Idee, die nicht nur für Tierschützer erschreckend zynisch klingt: Um den aus den Fugen geratenen Milchmarkt wieder zu stabilisieren, sollen in Europa mehr als eine Million Kühe geschlachtet werden. Bauern, die sich an der Aktion beteiligen, würden mit einer speziellen Prämie belohnt.
Was sie konkret plant, will Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel erst heute verraten. Nach allem, was aus Brüssel bisher durchgesickert ist, wird sie dem sanften Druck aus Deutschland, Frankreich und Italien jedoch nachgeben und Bauern mit speziellen Hilfen zum Rückzug aus der Milchproduktion bewegen.
Die "Abschlachtprämie" ist offenbar eine von ihnen. Mit überschaubarem finanziellem Aufwand, sagt Born, könnten so bis zu fünf Prozent Milch zügig vom Markt genommen werden. "Das hilft uns sehr."
In Zahlen hieße das: Von den rund 30 Millionen Milchkühen in EU-Europa müssten bis zu 1,5 Millionen Tiere vorzeitig zum Schlachter. Zu den 800 bis 900 Euro, die ein Bauer dort bisher für eine Kuh erhält, kämen dann noch einmal 300 bis 600 Euro aus dem Subventionstopf der EU - je nachdem, wie viel Milch nach Ansicht der Kommission vom Markt soll und wie viel Geld im Agraretat noch zur Verfügung steht.
Nach ersten Berechnungen des Bauernverbandes würde die Aktion zwischen 400 und 750 Millionen Euro kosten. Born: "Das müsste finanzierbar sein." Andernfalls drohe "ein echtes Milchbauernsterben".
Den Verdacht, mit der neuen Prämie würden vor allem kleinere Höfe in topografisch ungünstigen Lagen wie dem Allgäu zur Aufgabe gezwungen, weist Born zurück. Ob ein Landwirt die Milchproduktion einstelle, sei keine Frage von Groß oder Klein, sondern eine Frage der Alternativen.
Auch für Großbetriebe in den neuen Ländern könne es interessant sein, die Produktion umzustellen - und, zum Beispiel, anstelle von Milch künftig mit Biogas- oder Photovoltaik-Anlagen Strom zu erzeugen. Bei anhaltend niedrigen Milchpreisen gehe vor allem den Betrieben, die Futter dazukaufen und Mitarbeiter bezahlen müssen, allmählich "die Luft aus".
Dass die EU-Kommission die für 2010 geplante Erhöhung der Milchquoten um ein Prozent zurücknimmt, wie Agrarministerin Ilse Aigner es gefordert hat, gilt als ausgeschlossen - obwohl Europas Bauern gegenwärtig fast fünf Prozent weniger Milch an ihre Molkereien liefern, als sie eigentlich dürften.
Eine deutliche Entlastung des Marktes, argumentiert der Bauernverband, werde aber erst die "Abschlachtprämie" bringen. Born: "Sie könnte der Kick sein, um aus einem tiefen Tal wieder herauszukommen." Auf längere Sicht ist den meisten Milchbauern nicht bang um ihre Zukunft: Nur ein Viertel von ihnen rechnet nach der jüngsten Konjunkturumfrage des Verbandes mit anhaltend schlechten Zeiten. Fast genauso viele glauben, dass die Dinge sich in zwei, drei Jahren wieder zum Besseren gewendet haben werden.
Wie in früheren Jahren will die EU offenbar auch weiterhin im großen Stil Butter und Magermilchpulver aufkaufen, sobald die Preise unter ein bestimmtes Niveau fallen. Dem Vernehmen nach soll eine ursprünglich bis Ende August befristete Regelung bis weit ins nächste Jahr hinein verlängert werden, möglicherweise sogar bis zum Frühjahr 2011. Erste Entscheidungen allerdings fallen frühestens bei der Sitzung der europäischen Agrarminister am 7. September.
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