Misstrauen gegen Muslime
Nach den islamistischen Anschlägen fürchten Frankreichs Muslime eine feindliche Stimmung. Dazu trägt auch bei, dass in Einwanderer-Vierteln Sympathien für die Attentäter herrschte.
„Hoffentlich sind die Täter keine Muslime.“ Dieser Gedanke schoss Walid durch den Kopf, als er von den blutigen Schießereien in der letzten Woche in der Redaktion von Charlie Hebdo und einem koscheren Lebensmittelmarkt in Paris erfuhr. Schnell bestätigte sich seine Befürchtung: Sowohl die Brüder Chérif und Saïd Kouachi als auch Amedy Coulibaly beriefen sich bei ihren mörderischen Taten auf den islamischen Glauben. Wenn auch in seiner radikalsten Form: Gestern bekannte sich der jemenitische Ableger von Al-Kaida zu dem Attentat.
Er überlegt, sich den Vollbart abzurasieren
„Frankreich befindet sich im Krieg gegen den Terrorismus, den Dschihadismus und den radikalen Islamismus. Es ist nicht im Krieg gegen den Islam und die Muslime“, stellte Premierminister Manuel Valls zwar klar. Und doch ahnte der 26-jährige Walid, der seinen echten Namen in den Medien lieber verschweigt, dass auch er, ein gläubiger Muslim, sich werde rechtfertigen müssen. „Aber warum? Ich habe nichts mit diesen Terroristen gemein und bin es leid, in einen Topf mit ihnen geworfen zu werden.“ Trotzdem überlege er, sich seinen Vollbart abzurasieren. Schon der Blicke der Leute in der Metro wegen.
Es bleibt nicht immer nur beim stillschweigenden Misstrauen: Die muslimische Dachorganisation CFCM zählte seit den Terrorakten mehr als 50 islamfeindliche Akte im ganzen Land, darunter Drohungen und mehrere Angriffe auf Moscheen. Dabei hatten die Vertreter des Islam in Frankreich die Attentate klar kritisiert, sich tief betroffen gezeigt und an den Gedenkmärschen für die Opfer teilgenommen. Der neue Koordinator der Sicherheitsvorkehrungen vor jüdischen Schulen und Einrichtungen, die Paris zu Wochenbeginn massiv ausgeweitet hat, soll auch den Schutz der Moscheen erhöhen, kündigte Innenminister Bernard Cazeneuve an.
Aufruf an Muslime Ruhe zu bewahren
In der aktuellen nervösen Stimmung rief Verbands-Präsident Dalil Boubakeur im Namen aller muslimischen Organisationen Frankreichs noch vor dem Erscheinen der neuen Ausgabe von Charlie Hebdo mit einer Mohammed-Karikatur auf der Titelseite dazu auf, Ruhe zu bewahren und die Meinungsfreiheit zu respektieren. Am Mittwoch beriet der muslimische Dachverband über Maßnahmen für den Kampf gegen Radikalisierung, aber auch für mehr Öffnung und Dialog.
Während sich einerseits die französischen Juden immer unsicherer fühlen und massenhaft nach Israel auswandern, beklagen andererseits viele der rund fünf Millionen Muslime in Frankreich, von denen schätzungsweise zwei Millionen ihren Glauben praktizieren, stigmatisiert zu werden. Heftige Debatten begleiteten das 2011 eingeführte Burka-Verbot. Beim Vorwurf, ihnen mangele es an Integrationswillen, tönt Rechtspopulistin Marine Le Pen besonders laut.
Auch nach antijüdischen Ausschreitungen vor dem Hintergrund des Nahost-Konfliktes im vergangenen Sommer oder nach einem brutalen Überfall auf ein jüdisches Pärchen durch junge Männer mit arabischen Wurzeln vor einigen Wochen im Pariser Vorort Sarcelle droht sich die Stimmung umso mehr gegen Muslime zu wenden.
Deshalb schaden ihnen auch die Zwischenfälle an rund 70 französischen Schulen, oft in Vororten („Banlieues“) mit hohem Einwanderer-Anteil, wo Schüler in der vergangenen Woche die Schweigeminute für die Opfer der Anschläge gestört hatten, teils mit antisemitischen Parolen. Bildungsministerin Najat-Vallaud-Belkacem gab allen Lehrern in einem Brief Ratschläge für eine bessere Vermittlung an die Hand.
Laut Justiz-Ministerium laufen seit den Vorfällen zwölf Verfahren wegen Androhung von Terror-Akten und fast 40 wegen Verherrlichung von Terrorismus. Aufgrund dieses Vorwurfs wurde der umstrittene „Komiker“ Dieudonné M’bala M’bala gestern in Polizeigewahrsam genommen, nachdem die Pariser Staatsanwaltschaft am Montag Ermittlungen eingeleitet hatte. „Ich bin Charlie Coulibaly“ hatte der 48-Jährige in Anspielung auf den Attentäter Amedy Coulibaly verkündet. Im vergangenen Jahr wurde Dieudonné, der seit langem wegen antisemitischer „Satire“ aneckt, mehrmals mit Auftrittsverboten belegt. Während er vielen Jugendlichen aus den Banlieues als Idol gilt, gehört er zu jenen, die den Graben zwischen Muslimen und der übrigen Gesellschaft vergrößern.
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