Praktiker als Lehrer? Kritik an Schavan-Vorschlag
Berlin (dpa) - Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat mit ihrem Aufruf für den Einsatz von Ingenieuren an Schulen massive Kritik auf sich gezogen.
Firmen-Mitarbeiter dürften den Unterricht höchstens ergänzen, seien im Kampf gegen Lehrermangel aber ungeeignet, hielten Wirtschafts- und Bildungsverbände Schavan am Dienstag entgegen. Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Henry Tesch (CDU), sagte, der Ausbildungs-Missstand im pädagogischen Bereich sei mit Firmen-Mitarbeitern an Schulen nicht zu beheben. SPD- Generalsekretär Hubertus Heil hielt Schavan einen "PR-Gag" vor.
Für den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) ist Schavans Forderung nicht realisierbar. Es wäre unpraktikabel, "Ingenieure oder Naturwissenschaftler aus Betrieben ein Schulfach selbstständig über ein gesamtes Schuljahr hinweg unterrichten zu lassen", sagte DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun den "Ruhr Nachrichten". Der Aufwand wäre neben der Arbeit im Betrieb schnell immens - "ganz abgesehen davon, dass die Unternehmen kaum auf ihre besten Leute verzichten können", sagte Braun. Praktiker sollten aber leichter als Quereinsteiger Lehrer werden oder für Schulprojekte gewonnen werden können.
Schavan hatte an die Unternehmen appelliert, ihre Top-Mitarbeiter für den Unterricht freizustellen. Ingenieure könnten zwei Stunden wöchentlich Physik- oder Mathematikunterricht geben. Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Ludwig Eckinger, sprach von einem "Faschingsscherz". Er fürchte, dass "Top-Ingenieure als Laien in der Schule ins offene Messer rennen".
Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsminister Tesch sagte im ZDF, wenn beispielsweise Physiklehrer fehlten, sollten sie von Physik und von Pädagogik etwas verstehen. Er warnte zudem vor einem Wettbewerb der Länder gegen den Lehrermangel. "Es gibt eine Pensionierungswelle." Die Länder sollten die Ausbildungskapazitäten besser abstimmen. Bei der Anerkennung von Lehrerleistung gebe es "mächtigen Nachholbedarf". Der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Ulrich Thöne, warf den Kultusministern vor, Klarheit über den Lehrermangel zu verweigern. Die Lage in den Regionen und Fächern müsse zuverlässig erfasst werden, sagte er der "Mittelbayerischen Zeitung".
Der Deutsche Philologenverband machte Politik und einige Medien für das "miserable Lehrerimage" verantwortlich. Ein guter Lehrer könne nur werden, wer für seine Fächer "brenne" und kommunikativ, an der Arbeit mit Jugendlichen hochinteressiert und belastungsfähig sei, sagte Verbandschef Heinz-Peter Meidinger. Nötig seien Verfahren zur Feststellung der Eignung. Rasche Bildungsreformen forderten die Wirtschaftsjunioren Deutschland. Ingenieure seien keine Lehrer, und die Wirtschaft könne mangelhafte Bildungspolitik der Bundesregierung nicht ausgleichen, sagte der Vorsitzende Stefan Kirschsieper.
Heil monierte, Schavans Vorstoß "scheint einer närrischen Büttenrede entsprungen zu sein". Notwendige Lehrerstellen durch Gastspiele von "Top-Mitarbeitern" der Wirtschaft ersetzen zu wollen, sei abenteuerlich. Dagegen unterstützte Unionsbildungsexperte Uwe Schummer (CDU) Schavan: Die vielen Unternehmer und Ingenieure, die selbst in der Ausbildung aktiv seien, hätten durchaus pädagogische Erfahrung. Die Linken griffen Schavan persönlich an. "Der Ministerin fällt mal wieder nur Flickschusterei ein", so Bildungsexpertin Nele Hirsch. "Annette Schavan schießt mit ihrem Vorschlag den Vogel ab."
Die Bundesarbeitsgemeinschaft "Schulewirtschaft" berichtete von einem gewachsenen Engagement der Wirtschaft an Schulen. "Unternehmen können ökonomisches Wissen darstellen, Einblicke durch Betriebserkundungen geben und ein Stück Praxis an der Schule darstellen - aber nicht Pädagogen ersetzen", sagte Geschäftsführerin Yvonne Kohlmann der Deutschen Presse-Agentur dpa.
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