Die Proteste in Stuttgart werden immer heftiger
Die Proteste gegen Stuttgart 21 verschärfen sich: Aktivisten halten das Dach des Nordflügels besetzt, ein TGV wurde blockiert. Die Polizei klagt über kriminelle Taten und selbst in New York gibt es Protest.
Unter heftigem Protest tausender Demonstranten hat in Stuttgart der Abbruch des denkmalgeschützten Kopfbahnhofs nun richtig begonnen. Ein Bagger riss am Mittwoch eine Seitenmauer des Nordflügels ein.
Ein Großaufgebot der Polizei sicherte die Baustelle für das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 ab. Es herrschten chaotische Zustände. Demonstranten veranstalteten eine Sitzblockade vor dem Bauzaun - einige wurden später weggetragen. Am Abend kletterten sieben Aktivisten auf das Dach des Nordflügels und enthüllten ein Protestplakat. Die Gegner wollen dort ausharren bis Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) den Abriss stoppt.
Einer der Initiatoren des Protestes gegen das Milliarden- Bahnprojekt, Fritz Mielert, kündigte eine Dauerblockade mindestens bis zu diesem Freitag an. Mit einer Sitzblockade sollen Demonstranten Lastwagen daran hindern, auf das Gelände zu fahren. Es sollen noch andere nicht näher genannte Aktionen in den nächsten Tagen folgen. Für den Freitagabend (19.00 Uhr) war zudem eine Großdemonstration mit Menschenkette um den nahe gelegenen Landtag geplant. Die Initiatoren hofften auf 50.000 Teilnehmer.
Im Bahnhof hinderten am Mittwochabend Demonstranten für rund eine Stunde einen TGV-Schnellzug in Richtung Paris an der Abfahrt. Die Bundespolizei sperrte nach Bahnangaben aus Sicherheitsgründen die daneben liegenden Gleise ab. Es kam zu Verspätungen im Bahnverkehr. Zudem gab es in der Stadt zahlreiche Staus durch Blockaden an drei großen Kreuzungen und zwei Bundesstraßen. Die letzte wurde von der Polizei um 0.40 Uhr geräumt.
Nach Ansicht der Polizei haben die Proteste am Mittwoch "ihren friedlichen Charakter verloren". Feuerwehr und Rettungskräfte seien behindert und bedrängt sowie Besucher eines Weinfestes mit Eiern beworfen worden. Zudem seien aus Gruppen von Straßenblockierern Flaschen geflogen. "Dies hat mit verständlichen Protesten sowie zivilem Ungehorsam bei weitem nichts mehr zu tun", klagte Polizeipräsident Siegfried Stumpf. "Wer Rettungskräfte blockiert, handelt kriminell."
Die Initiatoren der Proteste weisen die Vorwürfe zurück. "Generell versucht die Politik uns über die Polizei zu kriminalisieren", sagte Matthias von Herrmann, Sprecher der sogenannten Parkschützer. "Es ist friedlich geblieben. Die Gewaltfreiheit hat sich durchgesetzt und das sieht die Gegenseite nicht gerne." Nach seinen Angaben demonstrierten am Mittwoch rund 12.000 Menschen in der Stadt, die Polizei sprach von 6000. Auch gegen 3.00 Uhr harrten immer noch "ein paar Hundert Demonstranten" aus, wie ein Sprecher sagte.
Bei dem 4,1 Milliarden Euro teuren Vorhaben wird der Kopfbahnhof in eine unterirdische Durchgangsstation umgewandelt, mit einem unterirdischen Ring an die Zulaufstrecken und mit einem Tunnel an den Flughafen und die Schnellbahnstrecke nach Ulm angebunden. Seit Wochen protestieren tausende Menschen gegen das Milliardenprojekt.
Der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven wies unterdessen die Baustopp-Forderung seines Kollegen Frei Otto, der vor einem Jahr aus der Projektgruppe ausgeschieden war, zurück. "Die Aussagen von Frei Otto sind hoch fahrlässig", sagte Ingenhoven der "Rheinischen Post" (Donnerstag). Diese Aussagen seien "nah an der Panikmache", kritisierte Ingenhoven. Otto habe, "obwohl eingebunden in das Projekt, nicht alle wichtigen Informationen gehabt, das zu beurteilen. Er ist überhaupt nicht kompetent, etwas zu den Komplexen zu sagen." Otto hatte im Magazin "Stern" davor gewarnt, dass der unterirdische Bahnhof eventuell überschwemmt werden könnte.
Ein Stopp des umstrittenen Milliarden-Projekts würde maximal 400 bis 500 Millionen Euro kosten. Zu diesem Schluss kommt der Bahnexperte und Gutachter Christian Böttger in einer Analyse für die "Frankfurter Rundschau" (Donnerstag). Der Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin widersprach damit Projektsprecher Drexler. Dieser hatte zu einem Aus von Stuttgart 21 erklärt: "Wer raus will, muss 1,4 Milliarden Euro auf den Tisch legen, mindestens."
Der Abbruch läuft im Bahnhofsinneren seit Juli. Mitte August war bereits ein Vordach abgebaut worden. Es war die erste äußerlich sichtbare Beschädigung an dem denkmalgeschützten Gebäude des Architekten Paul Bonatz (1877-1956). Der Protest dagegen hat selbst New York erreicht. Am Mittwochabend protestierten knapp zehn Deutsche mit Trillerpfeifen und Gegröle auf dem Times Square gegen das Bauvorhaben. dpa
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