"Das ist untragbar": Kassenpatienten warten oft lange auf einen Facharzt-Termin
Bis zu 30 Tagen warten gesetzlich Versicherte auf einen Termin beim Kardiologen oder Psychiater. Darunter leiden vor allem Pflegebedürftige und Schwerstkranke.
Wer in Deutschland einen Termin bei einem Facharzt oder einer Fachärztin benötigt, muss oft lange warten. Das prangern Patientenschützerinnen und -schützer an. Besonders betroffen: gesetzlich Versicherte. "Kassenpatienten werden häufig vertröstet oder direkt abgewiesen", sagt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Sie müssten häufig bis zu einem Monat warten. Privatversicherte hätten es deutlich leichter. "Viel Geduld müssen Patienten vor allem haben, wenn sie einen Termin beim Frauenarzt, Kardiologen, Neurologen oder Psychiater brauchen."
"Praxen schließen, ohne dass eine Nachfolge sichergestellt ist"
Die Verbände sehen mehrere Gründe für die langen Wartezeiten. Erstens: Die Abschaffung der Neupatientenregelung. Sie bot Praxen finanzielle Anreize, neue Patienten aufzunehmen. Seit Anfang des Jahres fällt die Regel weg. Damit wollte die Bundesregierung zum Ausgleich eines Milliardenlochs bei den gesetzlichen Krankenversicherungen beitragen.
Zweitens: Ein Versorgungsmangel, vor allem auf dem Land. "Praxen schließen, ohne dass eine Nachfolge sichergestellt ist", sagt Brysch. "Im Vergleich zu Ballungszentren müssen in strukturarmen Räumen weniger Ärzte mehr Menschen versorgen. Lange Wege sind hier also die Regel, was vor allem immobile Patienten schnell vor unüberwindbare Hürden stellt." Und drittens: der demografische Wandel. Die Bevölkerung werde zusehends älter, der Behandlungsbedarf steigt.
Das Thema beschäftigt auch die Politik. "Wer nicht gerade privat versichert ist, wartet nun 30 Tage und mehr auf einen Arzttermin. Das ist untragbar", findet auch Stephan Pilsinger, Arzt und gesundheitspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe, im Gespräch mit unserer Redaktion. Er kritisiert die Abschaffung der Neupatientenregelung. "Damit spart die Ampel für das System kaum Geld ein, sorgt aber für maximale Verstimmung bei Versorgern und Patienten." Außerdem müsse man die Versorgung flexibler aufstellen. Pilsinger fordert eine "Ambulantisierung der Krankenhausversorgung". Facharzttermine und Untersuchungen sollen demnach auch im Krankenhaus durchgeführt werden können. "Das entlastet viele niedergelassene Praxen."
Auch Sicht der Linken sind die langen Wartezeiten vor allem ein Problem der Kassenstruktur. "Versorgungslücken gibt es nach unserer Auffassung nicht vor allem, weil die Honorare der Fachärztinnen und Fachärzte zu niedrig wären", sagt Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken-Franktion. "Die Versorgungslücken haben viel mehr damit zu tun, dass es für Ärztinnen und Ärzte lukrativer ist, Privatpatientinnen und -patienten zu versorgen." Die ungleiche regionale Verteilung der Fachärzte werde dadurch verschärft, dass sich Ärztinnen und Ärzte bevorzugt dort niederließen, wo Menschen mit hohem Einkommen leben.
Pflegebedürftige, Betagte und Schwerstkranke sind besonders betroffen
Das Gesundheitsministerium will vor allem die Kommunen stärken, um die flächendeckende Versorgung zu sichern. So soll künftig etwa die Gründung von medizinischen Versorgungszentren erleichtert werden, wo sich auch Fachärzte ansiedeln könnten. Die Abschaffung der Neupatientenregelung verteidigt das Ministerium. Die frühere Regelung sei auch nicht besser für die Versorgungssituation gewesen.
Die Verbände machen derweil Druck auf die Politik. Besonders hart träfen die lange Wartezeiten Pflegebedürftige, Betagte und Schwerstkranke, sagt Eugen Brysch. "Insbesondere zu Hause oder im Pflegeheim versorgte Menschen werden zunehmend von der fachärztlichen Versorgung abgekoppelt."
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30 Tage (?) - da würde ich mich freuen. Beim Hautarzt beträgt die momentane Wartezeit sechs Monate.
Die Probleme sind in dem Artikel doch eindeutig aufgezeichnet! Wenig Ärzte, wenig Bezahlung, teilweise langwierige Auseinandersetzungen mit den Krankenkassen, viel zu viel Bürokratie und wenig funktionierende aber kostspielige IT. Und wenn ich die Argumentation der Linken höre, so stelle ich immer wieder fest, dass versucht wird in Richtung Sozialismus zu agieren. Fakt ist, und jeder Arzt wird ihnen hinter vorgehaltener Hand zustimmen, dass sich die Masse der Praxen ausschließlich durch Privatversicherte rentieren. Alles andere sind Scheinargumentationen und politisch gewollter Niedergang.
1991 gab es 18000 Medizin Studienplätze, jetzt sind es nur noch 11000.
@ Luis H.
Zum Problem der Studienplätze gebe ich Ihnen recht. Mir erschließt es sich nicht, dass ein 1,0-Abiturient ein besserer Arzt werden kann als ein Abiturient mit Durchschnitt 1,5 oder 2. Als ich mein Abi 1975 gemacht habe, hat man das mit zuwenig Laborplätzen begründet – mittlerweile müsste sich da doch was getan haben – oder ist Deutschland doch ein Entwicklungsland?
Es ist eben einfacher, ausländische Ärzte abzuwerben als selbst auszubilden. Eigentlich müssten diese Länder dann verlangen, dass die Sozialabgaben in ihre Systeme gehen. Sonst geht ja ihr Generationenvertrag bei der Rente und ihr ALG-System nicht auf?
Frau Reichenauer, das Problem ist wohl - wie könnte es anders sein - die Finanzierung. Das Medizinstudium ist kostenspielig. Viel teurer zu finanzieren, als andere Studiengänge. https://www.zeit.de/campus/2017-12/studium-medizin-aerzte-studienplaetze-mangel?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
"Im Vergleich dazu kostet ein Studienplatz in den Geisteswissenschaften oder in BWL gerade einmal 5.000 Euro. Die Unis müssen sich also überlegen, ob sie einen Platz in Medizin oder sechs in Geschichte oder dem sehr beliebten BWL schaffen..."
Es wird aber trotzdem kein Weg daran vorbeiführen, als dass mehr Studienplätze geschaffen werden müssen. Auf uns kommt eine Welle der anstehenden Verentung von Ärzten zu. Wir laufen sehenden Auges in eine absolute Katastrophe, was die ärztliche Versorgung der Bevölkerung angeht.
Christina M., da haben Sie recht. Es ist tatsächlich sehr viel günstiger, bereits fertig ausgebildete Mediziner aus dem Ausland für Deutschland zu gewinnen, bzw. kostet uns die Ausbildung so nichts. Probleme sind jedoch die sprachliche Barriere. Außerdem fehlen diese Mediziner in ihren Heimatländern.
Ohne die ausländischen Mediziner wäre die Situation in Deutschland noch sehr viel schlechter.
Die Ursachen für diese teils sehr langen Wartezeiten werden doch im Artikel bereits angesprochen.
Tatsächlich warten auch Privatpatienten verhältnismäßig lange auf einen Termin beim Facharzt.
Wer diese Tage in einer (Fach)-Arztpraxis im Wartezimmer sitzt, dem wird die Problematik live vor Augen geführt. Die Wartezimmer sind brechend voll, die Patienten werden im Fließbandmodus abbehandelt.
Wir benötigen mehr Ärzte und mehr Fachpersonal und vor allem auch mehr Studienplätze für Medizin.
Das Problem ist schon seit Jahren bekannt, siehe unter anderem auch in diesem Artikel von 2019. https://www.aerzteblatt.de/archiv/206923/Aerztemangel-Einzelne-Fachgebiete-stark-unter-Druck
Nachtrag!
Das Ganze betrifft aber auch geplante Operationen. Mein Enkel war unlängst in einer Facharztambulanz in der Uni Ulm. Auf diesen Termin in der Ambulanz hatte er ganze 6 Monate gewartet.
Der Termin für die dort festgestellte Notwendigkeit einer Operation wurde nun für in zweieinhalb Jahren anberaumt...
Ca. 90 Prozent der Krankenversicherten sind gesetzlich versichert. Die Gleichbehandlung von Privat- und gesetzlich Versicherten löst dieses Problem der langen Wartezeiten nicht.
30 Tage? Wohl eher 3 Monate und länger nach meiner Erfahrung. Außer man es dringend bzw. läßt über den Hausarzt einen Termin geben. Dann geht es auf einmal morgen.
Genauso ist es. 30 Tage wären ja super.
Genau so ist es. Als eine gute Bekannte ein ungeklärtes Problem hatte, wahrscheinlich neurologischen Art, war sie im Klinikum. Zur Abklärung wurde sie nicht aufgenommen, obwohl sie Aussetzer hatte und nicht wusste, was geschehen ist und wo sie war.
Stattdessen bekam sie eine Überweisung zum Neurologen. Dort hat man ihr einen Termin angeboten, drei!! Monate später.
Darüber ist man fassungslos
Die gleiche Erfahrung,
habe ich erst vor Kurzem sowohl bei mir, als auch für einen Termin für meine Frau beim Neurologen gemacht. Die Damen am anderen Ende der Leitung versuchen einen immer abzuwimmeln, wenn der Hausarzt dann aber anruft, geht es auf einmal rasend schnell.
Ich habe als Privatversicherter auch über drei Monate auf einen Termin bei einem Neurologen in Lechhausen gewartet. Kürzlich ging es deutlich schneller, das war aber eine reine Privatpraxis.
@Christian G.: exakt - so ist es. Für z.B. eine normale Vorsorgeuntersuchung ist es unerheblich ob man 3/6 oder 9 Monate wartet. Man kann auch seine Arztbesuche planen. Braucht man für einen akuten Fall einen Arzt - bekommt man auch einen Termin.
Wenn es die Ärzte selbst nicht hinbekommen wertfrei von der Versicherungssituation alle Patienten gleich zu behandeln, dann sollte der Gesetzgeber tätig werden und das leidige Zwei-Klassen-Patienten-System einfach durch Abschaffung der privaten Krankenversicherung abschaffen.
Absolut richtig. Haben die nicht mal einem Eid geleistet?
@Eric T.: Nein. Ein Arzt mit Approbation ist auf die Berufsordnung der Ärztekammer verpflichtet - und sonst nichts.