Wie Kamala Harris von der Hoffnungsträgerin zur politischen Randfigur wurde
Bei ihrem Antritt als erste Frau im Amt der US-Vizepräsidentin sahen viele in ihr die Zukunft der Demokraten. 18 Monate später ist Kamala Harris so unbeliebt wie niemand zuvor auf diesem Posten.
Es ist erst wenige Wochen her, da hatte Kamala Harris zu einem „Runden Tisch“ an ihren Amtssitz eingeladen. Die Vize-Präsidentin traf sich mit Menschen mit Behinderung, um über das Abtreibungsurteil des Supreme Court zu sprechen. Ein Thema, das nicht nur viele Amerikaner bewegt, sondern das der Stellvertreterin Joe Bidens am Herzen liegt - und ihr zuletzt sogar geholfen hatte, ihr angeschlagenes Image aufzupolieren. Bis zu eben jenem Tag, als die Kameras das Treffen im „Eisenhower Executive Office“ neben dem Weißen Haus aufzeichneten. Harris saß am Kopfende, sie trug eine schwarze Maske und stellte sich der Runde vor: „Ich bin Kamala Harris. Meine Pronomen sind ,sie‘ und ,ihr‘. Und ich bin eine Frau, die mit einem blauen Anzug am Tisch sitzt“. Ein banaler Moment, der sich im Internet von der sprichwörtlichen Mücke in einen Elefanten verwandelte. Wie so oft, ließen ihre Kritiker auch diesmal den Kontext weg, vergaßen zu erwähnen, dass sich die demokratische Politikerin an ein Publikum richtete, in dem sehgeschädigte Menschen saßen.
Die Kritik schallte von rechts wie von links. Indem sie auf die korrekten Pronomen verwies, bediente sie sich der Sprache der politisch Über-Korrekten in den USA – eine Provokation für viele Amerikaner. Zugleich ließ die Beschreibung ihrer Kleidung alle Feministinnen die Luft anhalten. Das Magazin The Atlantic verglich den Auftritt mit der Peinlichkeit, die Mitt Romney einst ausgelöst hatte, als er auf die Frage nach seinem Lieblingsfleisch „Hot Dogs“ sagte. In den USA wird dieses Umschmeicheln von Wählern auch als „pandering“ bezeichnet. Und genau das ist eines der Probleme, das die mit großen Vorschusslorbeeren ins Amt gestartete Harris in den Umfragen nach unten zieht: Sie wird als Opportunistin wahrgenommen.
Tritt Joe Biden für eine zweite Amtszeit an?
Harris rangiert mit weniger als ein Drittel Zustimmung bei den Wählern noch hinter Präsident Joe Biden, der ebenfalls um Sympathien kämpfen muss. Ihre Verteidiger machen die Hetze in rechten Medien wie FOX und Breitbart verantwortlich, die von Sexismus und Rassismus geprägt sei. Doch selbst in ihrer Partei hat die einst als „weiblicher Obama“ gefeierte Absolventin der Elite-Uni von Howard schweren Stand. Falls sich der 79-jährige Präsident umentscheiden und nicht mehr für eine zweite Amtszeit antreten sollte, wäre seine Stellvertreterin nicht automatisch als Kandidatin der Demokraten gesetzt. Eine Umfrage in New Hampshire, dem ersten Bundesstaat mit Vorwahlen bei den Demokraten, sieht sie in einem breiten Bewerberfeld abgeschlagen im einstelligen Bereich.
Harris selbst versucht von der Diskussion abzulenken. Der Präsident habe erklärt, für eine zweite Amtszeit anzutreten. Sie konzentriere sich auf ihre Aufgaben. Doch so einfach ist das nicht in einem Amt, in dem sie sprichwörtlich nur einen Herzschlag weit vom Oval Office entfernt ist. Als Biden Mitte August wegen einer Covid-Infektion für mehrere Tage ausfiel, fragten viele Amerikaner: Kann Kamala Harris Präsidentin sein?
Die großen Projekte von Harris stecken fest
Während sich die ausgebildete Juristin in ihrer kurzen Zeit als Senatorin auf dem Washingtoner Kapitolshügel mit bohrenden Fragen bei Anhörungen einen Namen machte, wirkt sie als Vize-Präsidentin überfordert. In den beiden Aufgabenfeldern, die ihr Biden übertrug - Flüchtlingskrise und Wahlrechtsreform -, machte sie nach Ansicht von Analysten wie Jeffrey Frank eine ausgesprochen unglückliche Figur. In einem Interview auf NBC drückte sich die Vize-Präsidentin vor einer Antwort auf die Frage, ob sie vorhabe, sich einmal die Situation an der Südgrenze von Mexiko vor Ort anzuschauen. Die Linke verärgerte sie mit einem „Kommt nicht, wir schieben Euch ab“-Appell an die Flüchtlinge. Nicht viel besser ist die Bilanz bei der Wahlrechtsreform, die ihre Partei als erstes Gesetzesvorhaben in den neuen Kongress eingebracht hatte. Erreicht hat sie nicht einmal ein Reförmchen.
Die Verantwortung für diese Entwicklung sieht Jeffrey Frank, selbst Autor mehrere Bücher über US-Vizepräsidenten, auch bei Biden. Dem sei Harris vor allem im Wahlkampf nützlich gewesen - als erste Frau mit afroamerikanischer und asiatischer Herkunft. Nach der Wahl habe der Präsident sie nie wirklich am Regieren beteiligt, klagen auch andere, die sie vor dem Vorwurf der Wirkungslosigkeit verteidigen. Während der Biden selbst einst als Stellvertreter Obamas von seinen wöchentlichen Mittagessen unter vier Augen profitiert habe, setzte er diese Tradition mit Harris nicht fort. „Ihre Abwesenheit beim Regieren, als Krisenmanagerin und Gestalterin von Politik, macht sie zu einer ziemlich schwachen Erbin“, schreibt Frank in der New York Times.
Wer hält noch zu Kamala Harris?
Als wenig hilfreich bei der Politur des angekratzten Images erwiesen sich anhaltende Vorwürfe über Harris‘ Umgang mit Personal, den Betroffene als „schwierig“ beschreiben. Wie schon in der Vergangenheit im Justizministerium von Kalifornien, in ihrem Senatsbüro und im Wahlkampfteam knirschte es lautstark unter ihren Mitarbeitern. Sie verlor bereits ihre Sprecherin, Stabschefin und wichtigste Strategin.
Bei ihrem Versuch, die Stimmung zu drehen, hilft Harris womöglich die vielleicht treueste Klientel der Demokraten, die schwarzen Frauen. Der Meinungsforscher Cornell Belcher macht in dieser Wählerinnengruppe eine Zustimmungsrate aus, die anhaltend über 70 Prozent liegt.
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