So schön, aber viel zu überlaufen: Was wird aus der Amalfiküste?
Die Amalfiküste will sich neu erfinden. Die Region ist vor allem bei Amerikanern sehr beliebt. Künftig aber sollen die Touristen nicht nur durch überfüllte Orte hasten.
„Wer weiß, wenn ihr das nächste Mal nach Amalfi kommt, gibt es vielleicht hier keine Zitronengärten mehr“, erklärt Salvatore Aceto den Besuchern seines kleinen Museums. Seit sechs Generationen baut seine Familie Zitronen auf den Hängen am Ortsende des malerischen Küstenstädtchens an.
Doch ob sein Sohn das Geschäft weiterführt, steht in den Sternen. Denn der Anbau auf den steilen Terrassen ist mühsam und längst unrentabel. Früher haben Frauen die wuchtigen Weidekörbe, gefüllt mit 50 bis 60 Kilo Zitronen, auf dem Rücken hunderte von Stufen heruntergetragen, erzählt Salvatore. Heute beschäftigt er Arbeiter aus Osteuropa, weil Italiener den schweren Job nicht mehr machen wollen. Doch weil Plantagen in anderen Ländern wie Spanien ihre Zitronen so günstig anbieten, kann er in Italien seine Ernte nicht mehr gewinnbringend verkaufen. Schon vor Corona habe er 25.000 Euro Verlust im Jahr gemacht, erzählt er.
Seit einigen Jahren bietet Salvatore daher auch Touren durch seine Zitronenterrassen an, wahlweise auch mit Mittagessen und Kochkurs. Das sei keine einfache Entscheidung gewesen. „Früher war es für uns undenkbar, unsere Zitronengärten für Fremde zu öffnen“, erinnert er sich. „Das ist schließlich unser Heiligstes.“ Aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Damals habe er die Hotels abgeklappert und sie gebeten, ihren Gästen seine Zitronentour anzubieten. Auf große Bereitschaft stieß er dabei nicht. „Hier denkt jeder nur an sich und ist neidisch auf den anderen“, schimpft Salvatore. „Das ist die große Tragödie von Süditalien.“
Zitronenanbau in Amalfi: Auch die Umwelt profitiert davon
Eigentlich müsste er den Zitronenanbau längst aufgeben. Doch wenn die Terrassen nicht mehr instand gehalten werden, hätte das verheerende Auswirkungen für den ganzen Ort. Denn die mühsam mit Trockenmauern befestigten Terrassen sind ein perfektes System zur Speicherung des Wassers. Zerfallen sie, gibt es einen Dominoeffekt, und das in einem schmalen Tal gelegene Amalfi würde wohl beim nächsten Starkregen von den Fluten weggespült. Denn wo heute die Besucher an den Souvenirgeschäften und Bars entlangpromenieren, war einst ein Flussbett. „Wir sind die letzten Schützer der Umwelt“, sagt Salvatore. „Wenn wir aufgeben, gibt es hier keinen schicken Tourismus mehr.“
Doch künftig soll es anders werden. Die vor allem bei amerikanischen Touristen beliebte Küste will sich als „Authentic Amalfi Coast“ neu erfinden. Die Besucher sollen nicht nur durch die überfüllten Orte hasten, sondern wandern, Winzer und Biobauern besuchen, die traditionelle Küche kennenlernen und das Hinterland erkunden. Möglichkeiten dafür gibt es genug: ein Spaziergang mit Ausblick auf dem Zitronenweg von Minori nach Maiori, ein Besuch des Archäologischen Museums in Positano mit den beeindruckenden Wandmalereien einer Römischen Villa, ein Ausflug zu Winzern und Kirchen im Tramonti-Tal oder eine Wanderung im Valle Delle Ferriere, vorbei an Wasserfällen und alten Mühlen zum Bergdorf Scala.
Hinter der Initiative stehen 14 Gemeinden und ein Netzwerk aus Veranstaltern von Wandertouren, Hotels, Gastronomen und Kommunalpolitikern. Um nachhaltige Reiseangebote zu entwickeln, gibt es eine Kooperation mit der Italienischen Zentrale für Tourismus ENIT und dem deutschen Verband kleiner und mittelständischer Reiseveranstalter Forum anders reisen. Finanziert wird das gesamte Projekt durch staatliche Subventionen in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrags.
Die Infrastruktur stellt das größte Problem für das Projekt dar
So richtig überzeugen konnte das ambitionierte Projekt bei der Präsentation im Herbst noch nicht. Ob es sinnvoll ist, wenn Touristen mit einem Elektroroller durch die engen Gassen von Amalfi fahren oder mit dem E-Bike die viel befahrene Amalfitana erkunden, sei dahingestellt. Die schmale Küstenstraße, die sich in unzähligen Kurven von Meta di Sorrento nach Vietri sul Mare an den steil abfallenden Felsen entlangwindet, ist das größte Problem. Wenn sich täglich hunderte von Bussen mit Tagestouristen in teils waghalsigen Rangiermanövern durch die zahlreichen Engstellen und Kurven quälen, sind Staus programmiert. Angedacht ist daher ein Parkleitsystem. Doch bis es so weit ist, wird wohl noch viel Zeit vergehen. Immerhin wurde bereits ein Unternehmen beauftragt, das Verkehrsaufkommen zu erfassen.
„Wir brauchen ein Netz aus Wanderwegen, damit die Touristen auf ausgeschilderten Wegen von Dorf zu Dorf laufen können“, fordert Peter Hoogstaden, der schon lange an der Amalfiküste lebt und mit seinem Unternehmen Genuis Loci Travel Wandertouren anbietet. Seit Jahren bemüht er sich, Lokalpolitiker dafür zu begeistern – mit bescheidenem Erfolg. Zwar würde ab und zu mal ein Wanderweg beschildert, doch schon kurz darauf interessiere sich keiner mehr dafür.
Niemand fühle sich für die Pflege der Natur und Wanderwege zuständig
Das gilt auch für den bekanntesten Wanderweg: den Pfad der Götter. Hoch über dem Meer schlängelt sich der Weg vom Ort Agerola bis Nocerola an den steilen Berghängen entlang und bietet fantastische Ausblicke auf die Küste. Der Weg laufe durch vier Gemeinden, erzählt Wanderführer Enzo vom Tourenanbieter Cartotrekking. Doch für die Instandhaltung fühle sich keiner zuständig. Dafür sorgen die Guides in ihrer Freizeit. „Viele machen hier gute Geschäfte mit dem Tourismus“, sagt Wanderexperte Hoogstaden. „Aber sie erkennen nicht, dass die Landschaft der wahre Schatz ist. Eigentlich müsste man den Bauern Geld dafür bezahlen, dass sie mit ihrem Terrassenanbau die einmalige Landschaft schützen.“
Man sei noch auf der Suche nach geeigneten Nachhaltigkeitsprojekten, erklärte Andrea Ferraioli, Hotelier und Präsident des Distretto Turistico Costa d’Amalfi. So wolle etwa ein Luxushotel ein Projekt zur Müllreduzierung starten. Auf die Frage, ob mit den Geldern auch Zitronenbauer Salvatore unterstützt werde, antwortet er: „Nein, das ist zu kompliziert.“
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