Am Anfang war die Skepsis groß
Mit dem Projekt "Azubis betreuen selbständig Patienten" gehen die Kreiskliniken Günzburg-Krumbach neue Wege in der praktischen Ausbildung von Pflegekräften.
Die Kreiskliniken Günzburg-Krumbach gehen neue Wege. Auftritte in Sozialen Medien wie Facebook und Instagram sprechen nicht nur junge Menschen an und zeichnen das Bild einer modernen Klinik, die sogar einen äußerst erfolgreichen eigenen Kliniksong hat. Auch bei der Ausbildung der Pflegekräfte zeigt sich das Kommunalunternehmen innovativ.
Zuerst waren alle skeptisch, die Krankenpflegeschüler ebenso wie die Patienten. Können Azubis Patienten eigenverantwortlich pflegen – egal, ob sie im ersten Ausbildungsjahr sind oder im dritten Jahr kurz vor der Prüfung stehen? Sie können – und zwar sehr gut. „Nicht nur die Chefärzte sind hochzufrieden“, sagt Andreas Mugler, Direktor Klinikmanagement an der Kreisklinik Günzburg, der das Projekt initiiert hat. Frisch ausgebildete Gesundheits- und Krankenpfleger, so hat er beobachtet, bringen zwar enorm viel theoretisches Wissen mit, aber es fehlen ihnen Zusammenhänge im Klinikalltag, sie kennen nicht den ganzen Ablauf und brauchen noch eine vertiefte Einarbeitungszeit. Da wollte Mugler Abhilfe schaffen und die Eigenverantwortlichkeit der Nachwuchskräfte schon früh stärken.
Projekt: Azubis betreuen selbständig Patienten
„Krankenpflegeschüler sollen keine Hilfskräfte sein“, sagt er, und so startete die Klinik Günzburg im Januar das Projekt „Azubis betreuen selbstständig Patienten“. In der ersten Woche ging für elf Pflegeschülerinnen und einen Schüler die Arbeit auf der Station mit engmaschiger Betreuung durch Praxisanleiter vonstatten, in der zweiten Woche konnten die Schülerinnen und der Schüler schon relativ selbstständig arbeiten. Aber auch da war immer ein speziell ausgebildeter und extra freigestellter Praxisanleiter auf Station. In der dritten und letzten Projektwoche haben die Auszubildenden „sehr eigenständig gearbeitet“, sagen Mugler und Nicolas Kiechle, der das Pflege-und Prozessmanagement verantwortet.
Die Schüler hatten – immer supervidiert durch speziell ausgebildete Praxisanleiter und examinierte Pflegekräfte der Station – wie die examinierten Pflegekräfte Zugang zum EDV-System Medico und zur Medikamentenbestellung, sie hatten die Organisation von der Aufnahme bis zur Entlassung ihrer Patienten im Blick und sie waren für die Dienst-planerstellung ebenso verantwortlich wie für die Planung der täglichen Arztvisiten. Umfangreiche Aufgaben sind das für Auszubildende und zugleich eine große Verantwortung. Skepsis gab es zu Anfang auch bei den Patienten. Aber, das haben Andreas Mugler und Nicolas Kiechle erfreut beobachtet, diese Skepsis ist sehr schnell gewichen: In Patientenbefragungen stieß das ungewöhnliche Projekt bei den Patienten auf große Zustimmung.
Vertrauen in die eigene Kompetenz gewonnen
„Die Verantwortung hat die Schüler anfangs sehr bedrückt“, sagt Andreas Mugler, „aber jetzt sind sie sehr stolz.“ An Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein, Routine, Wissen, Sicherheit, Verantwortung haben die Pflegeschüler während der drei Wochen enorm gewonnen und ihre Organisationsfähigkeiten deutlich ausgebaut. Das Vertrauen der Schüler in ihre eigene Kompetenz ist größer geworden – und, nicht zuletzt: Auch die Freude an der Arbeit ist gewachsen. „Keiner will jetzt so richtig weg“, sagten die Schüler in der Besprechung am Ende des dreiwöchigen Projekts, „weil wir ein gutes Team waren und eigenverantwortlich arbeiten konnten.“
Schule ohne Praxis kann nicht erfolgreich sein
Zwar ist das Projekt vorläufig beendet, die angehenden Pflegefachkräfte haben jetzt wieder Schule. Erich Renner, der Leiter der Berufsfachschule für Krankenpflege am Bezirkskrankenhaus Günzburg, ist beeindruckt von dem, was seine Schüler geschafft haben. Für ihn ist das Projekt „ein schönes Beispiel, dass Schule ohne Praxis nicht erfolgreich sein kann.“ Im Klinikalltag werde den Schülern oft nur wenig zugetraut, der Diplom-Medizinpädagoge Renner bedauert das. Die Klinik Günzburg jedenfalls weiß, dass sie ihren Auszubildenden in der Pflege viel zutrauen darf. „Das Projekt wird kein Einzelprojekt bleiben, sondern Auswirkung auf die weitere praktische Ausbildung haben“, sagen Mugler und Kiechle.
Die guten Erfahrungen aus den drei Wochen sollen in den Klinikalltag integriert werden. Pflegeschüler könnten künftig an einigen Vormittagen pro Woche eine Station als „Schülerstation“ übernehmen, mit Unterstützung von Praxisanleitern wie während des Projekts. „Da müssen Stationen sich umstellen“, sagt Mugler, „wir verändern die Arbeit sukzessive.“ Sein Ziel ist es, „die Leute so auszubilden, wie wir sie nachher brauchen.“ Damit der Praxisschock nach der Ausbildung ausbleibt.
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