Malen mit der Kraft der Gedanken
Wie das klappen kann, hat Adi Hoesle aus Babenhausen herausgefunden
Es ist ein faszinierender Gedanke: Man denkt sich ein Bild aus, ohne dabei die Hände zu bewegen oder Farbe und Pinsel zu benutzen. Ebenso unvorstellbar ist es für den Laien, mit dem Gehirn ein Musikinstrument zu spielen oder nur mit der Kraft der Vorstellung ein Gedicht zu schreiben oder gar zu tanzen. „Es klappt“, weiß Adi Hoesle. Durch seine Entwicklung des sogenannten „Brain Painting“ und des „Brain Dancing“ ist der in Babenhausen lebende Künstler international bekannt geworden.
Hoesle ist Begründer der Technik „Brain Painting“, einem direkt aus den Hirnströmen abgeleiteten Bildgestaltungsverfahren. Allein durch die Idee im Kopf können so selbst komplett Gelähmte am Computer Bilder kreieren. Hoesle erklärt das Verfahren so: „Brain Painting ist ein sowohl technisch wie auch künstlerisch ambitioniertes digitales Verfahren. Dabei kann eine Software allein mit der Kraft der eigenen Vorstellung und des Willens bedient und gesteuert werden. Schritt für Schritt wird auf einer ebenso digitalen Leinwand ein abstraktes Bild erzeugt.“
In Hoesles Ausstellungsprojekten „Pingo ergo sum – das Bild fällt aus dem Hirn“ treiben elektrische Ströme in vernetzten Gehirnen den kreativen Schaffensprozess der Zukunft an. Künstler malen, dichten oder musizieren – und erstmals legen sie dabei die seit Jahrtausenden vertrauten Werkzeuge aus der Hand. Anstelle von Pinsel, Stift oder Meißel wage der Mensch die direkte Verbindung seines Geistes mit der Technologie, verdeutlicht Hoesle: „Das Bild fällt sozusagen aus dem Kopf.“ Hinter dem Kunstwerk stehen nur die Ideen und dahinter neurophysiologische Aktivitäten. Künstler wie Betrachter landen damit bei der ureigenen Frage zum Selbstverständnis allen Schaffens sowie der Frage: Was ist Kunst?
Ganz ohne Werkzeug
Laut Hoesle entsteht im Atelier des dritten Jahrtausends Kunst, ohne dass eine Hand dafür ein Werkzeug ergreift und mit vollendeter Motorik die Idee des Kopfes umsetzt. „Das Atelier des dritten Jahrtausends steht allen offen. Es erlaubt auch Menschen, die zum Beispiel komplett gelähmt sind und deshalb ihre Hände nicht bewegen können, Kunst auszuüben“, sagt der Babenhauser. Da die künstlerischen Ideen direkt aus den Synapsen in die sichtbare Form fließen, werden Hand und Arme als körperliche Mittler nicht mehr benötigt.
Im Jahr 2012 sorgte Adi Hoesle mit einer internationalen Ausstellung und Brain-Painting-Performance für Aufsehen: Der bekannte österreichische Maler Christian Stock saß auf dem Tuxer-Gletscher in Tirol. Mithilfe einer Elektroenzephalografie-(EEG)-Haube auf dem Kopf bediente er das Mal-Programm nur mit seiner Vorstellung. Dieses Ereignis wurde live in zwei Museen übertragen. An deren Wänden entstand das „Bild“ in Echtzeit. Parallel dazu konnte der Vorgang weltweit auf dem Handy mitverfolgt werden. „Das Bild fiel aus dem Gehirn des Malers, rollte den Berg hinunter und klatschte direkt an die Wand des Museums“, erinnert sich Hoesle mit einem Schmunzeln im Gesicht.
Licht und Türen mit den Hirnaktivitäten steuern
Mit dem Projekt „Brain Dancing“ ist dem Babenhauser Künstler im Jahr 2013 ein weiterer Meilenstein gelungen. Zusammen mit seinem Projektpartner Professor Lars Schwabe, Informatiker an der Universität Rostock, wurde er bei einem weltweiten Wettbewerb zum Thema „Gesellschaftsrelevante Anwendung von Brain Computer Interfaces“ von einer international hochkarätigen Jury in Pisa als zweiter Sieger geehrt. Hoesle war der einzige Künstler, der speziell im Bereich von Hirn-Maschinen-Schnittstellen (BCI) forscht. Ziel des Wettbewerbs war es, neue Wege für Anwendungen von BCIs zu finden, die gesellschaftliche Bedeutung haben. Beispielsweise können Menschen mit ihren Hirnaktivitäten Licht und Türen in ihrer Wohnung steuern.
Hoesle und Schwabe haben eine weitere phänomenale Idee realisiert: Mithilfe ihrer Hirnaktivitäten können komplett bewegungslose Menschen einen künstlichen Tanzpartner (Avatar) führen und mit ihm tanzen. „Es funktioniert in der Tat über die reine Vorstellung von Bewegung“, sagt Hoesle.
Unter dem Leitgedanken „Ich male, also bin ich“ präsentierte der Babenhauser Künstler im August und September 2018 im Berliner Kleisthaus (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) ein weiteres Ergebnis seiner Forschungen: Im Rahmen von Workshops konnten sich die Teilnehmer mit einer speziellen Mensch-Maschinen-Schnittstelle verkabeln und ihre Gehirnströme messen lassen. Dabei entstand in Interaktion mit dem vor ihnen stehenden Rechner ein sogenanntes Brain Painting. Mittels eines durch Elektroenzephalographie (EEG) messbaren Musters im Gehirn konnte die konzentrierte Person mit bestimmten Formen, Farben, Größen und Anordnungen am Bildschirm eigene Kompositionen schaffen und durch einen Mausklick ausdrucken.
Einfach per Mausklick
Das im Gehirn entstandene abstrakte Gemälde wurde auf der projizierten Leinwand oder dem Papier sichtbar. „Die Herausforderung dieses Interface liegt in der medizinischen Nutzung für komplett gelähmte Patienten, deren einziger Austausch mit ihrer Umgebung oft nur in der Augenbewegung besteht“, erklärt Hoesle. Über ihren „Bordcomputer“, den sie Dank der Bewegung ihrer Augen bedienten, sei es den Patienten möglich, „Gespräche“ zu führen. Der Gedanke „Ich male, also bin ich“ unterstreiche die Verbindung, die der Künstler zwischen dem kreativen Akt und der individuellen Existenz knüpft.
Höhepunkt der Ausstellung waren überdimensional große Farbfotos an den Wänden des Ausstellungsraumes. Die von Hoesle und einem professionellen Modefotografen stammenden Fotos zeigten Modeaufnahmen einer Frau, die komplett gelähmt ist und sich deshalb in einer Art Kokon befindet – Fotos von faszinierender Schönheit.
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