FC Bayern: Sich selbst geschlagen
Keine Niederlage ist so bitter, als dass man ihr nicht doch noch einige Erkenntnisse abgewinnen könnte.
Im Fall des Münchners Bastian Schweinsteiger sind es mildernde Umstände für Zinédine Zidane. Der Franzose hatte im WM-Finale 2006 den Italiener Marco Materazzi im Stil eines wild gewordenen Stieres Kopf voraus zu Boden gerammt. Auslöser war eine schlüpfrige Provokation des Italieners gewesen.
Dienstagnacht, so Schweinsteiger, habe Materazzi noch im Kabinengang schon vor dem Anpfiff provoziert. Hinterher tanzte der Verteidiger, der bei Inter nur noch Reservist ist, ausgelassen über den Platz, begleitet von weiteren Sticheleien. Schweinsteiger („Ich verstehe Zidane jetzt“) wollte dem Italiener daraufhin an den Kragen, was nur mit Mühe zu verhindern war.
Dazwischen lagen 94 mitreißende Spielminuten, in denen die Münchner den Einzug ins Viertelfinale der Champions League lange Zeit so gut wie sicher hatten, und zwei Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit alles verloren.
Es war wohl viel Frust, der Schweinsteiger am Ende die Nerven kostete. Auch später, vor den Mikrofonen, rang der 26-Jährige noch um Fassung. Doch in der Analyse richtete sich sein Zorn nicht mehr gegen Materazzi, sondern gegen das taktische Verhalten der Bayern-Mannschaft. Mit Leidenschaft und Spielvermögen hat sie die 66 000 Zuschauer begeistert, an Taktik und Strategie, anderen wichtigen Komponenten des Spiels, ist sie gescheitert. „Unglaublich, dass wir gegen Inter ausgeschieden sind“, jammerte Schweinsteiger.
Das mag überheblich klingen, trifft aber die Ereignisse. Dass die Italiener das Münchner 1:0 aus dem Hinspiel schon früh (3.) durch ein Abseitstor von Samuel Eto’o ausglichen, schien die Gastgeber nicht zu beeindrucken. Gomez (21.) glich aus, Müller (31.) erzielte die hoch verdiente Führung. Anschließend wirbelten Ribéry & Co., dass die Gäste nicht mehr wussten, wo ihnen der Kopf stand. Schweinsteiger: „Inter war in meinen Augen kaputt.“ Die Münchner drängten mit furiosem Angriffsspiel auf den endgültigen Mailänder K. o. – der aber ausblieb, weil Gomez, Ribéry, Müller und Robben beste Chancen vergaben.
„Wir wollten wieder einmal zu viel“, klagte van Gaal hinterher. Statt ein 2:1 über die Zeit zu bringen, renne die Mannschaft im Hurra-Stil in ihr Verderben. Ein Verhalten, „mit dem wir in dieser Saison schon vier, fünf Spiele weggegeben haben“, rechnet der 59-Jährige vor, das sich aus der Identität der Mannschaft speise, die immer Gas geben müsse, anstatt mal runterzuschalten. Ein Ergebnis zu verwalten, hat van Gaal seiner Truppe allerdings auch nicht beigebracht.
Während die Münchner ihren Abgang vor der Pause im Angriff einleiteten, vollendeten sie ihn später in der Abwehr. Dort also, wo das Mannschaftsgebilde von Saisonbeginn an nie über ein Baustellenformat hinausgekommen ist. Dienstagnacht durften sich van Buyten und Breno in der Innenverteidigung versuchen – ein Modell, das ebenso gescheitert ist wie seine neun Vorläufervarianten. „Defensiv haben wir Fehler gemacht“, räumte van Gaal ein, was nicht zu übersehen war. Robben wurde deutlicher: „Unsere Defensive ist nicht Champions-League-tauglich.“ Auch Schweinsteiger gelang es nur schwer, seinen Ärger zu verbergen: „Man muss zusammen offensiv und defensiv denken. Wenn man das nicht schafft, kann man in der Champions League nicht gewinnen.“
Die Bayern haben genau das nicht geschafft. Breno, solide im Zweikampf, aber orientierungslos im Raum, geleitete Sneijder (63.) und Pandev (88.) zum Mailänder 3:2. „Wir sind nicht an Inter, sondern an uns gescheitert“, bilanzierte van Gaal, der seine Truppe bis Samstag in Freiburg wieder auf die Beine bringen muss. Noch immer geht es für den FC Bayern „um das wichtigste Ziel überhaupt“ (van Gaal), die Qualifikation für die nächste Champions-League. Nach Bayern-Maßstäben allerdings ein bescheidenes wichtiges Ziel. Van Gaal bleibt bis zum Schluss im Amt. Das hat Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge am Mittwoch wiederholt.
Und danach? Vieles spricht dafür, dass Jupp Heynckes nächste Saison zum dritten Mal nach 1987 und 2009 das Kommando an der Säbener Straße übernimmt. Man werde „zu hundert Prozent im Sommer keine Übergangslösung wählen“, kündigte Sportdirektor Christian Nerlinger an. Nicht nur diese Aussage spricht für den erfahrenen Heynckes. Der 65-Jährige ist „Freund des Vereins“, sagt Uli Hoeneß.
Das ist gut. Die Bayern werden in nächster Zeit jeden Freund brauchen können.
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