Manuel Neuer vor Länderspiel 100: Regent ohne Thronfolger
Manuel Neuer macht am Montag sein 100. Länderspiel und wird von den Kollegen mit Lob überschüttet. Der DFB macht das Tor aber langfristig als Problemzone aus.
Natürlich gehören auch Tennisplätze zum prächtigen Teamhotel der deutschen Nationalmannschaft auf dem Seefelder Hochplateau. Als sich hier Manuel Neuer und Jonas Hofmann zum Spiel mit dem gelben Filzball verabredeten, versuchten sich daneben Timo Werner, Marcel Halstenberg und Bernd Leno in der Ertüchtigung mit dem Racket.
Wieder so ein Moment, erzählte Ersatztorhüter Leno beim virtuellen Medientag, dass er den Kollegen Neuer auf einem anderen Niveau erwischte. "Das war Profilevel." Kämen wirklich mal die spaßeshalber ausgerufenen "Seefeld Open" im Tennis zur Austragung, wäre der Keeper und Kapitän sicher der Topgesetzte.
2009 debütierte Neuen gegen die Vereinigten Arabischen Emirate
Dass das Multitalent Neuer über allen anderen thront, ist grundsätzlich keine neue Erkenntnis. Vor dem 100. Länderspiel der Nummer eins bei der EM-Generalprobe gegen Lettland in Düsseldorf (Montag 20.45 Uhr/RTL) überschlagen sich diejenigen mit Komplimenten, die tagtäglich mit ihm arbeiten. "Mich macht das sehr stolz", sagt Bundestorwarttrainer Andreas Köpke, der sich noch an das Freundschaftsspiel am 2. Juni 2009 in den Vereinigten Arabischen Emiraten erinnert, als der junge Mann vom FC Schalke 04 debütierte. 100 Länderspiele als Torhüter seien eine Hausnummer, findet der 59 Mal in der Nationalelf spielende Köpke. Allein Sepp Maier (95 Einsätze) wäre ohne seinen Autounfall 1979 vielleicht auch in diese Sphären gekommen.
Leno und Trapp versuchen sich im Training etwas von Neuer abzuschauen
Eine besondere Ehrung zu Neuers Eintritt in den elitären Klub der Hunderter als 16. Nationalspieler plant der DFB allerdings nicht. Eine Ehrenmedaille soll es geben, das Torwarttrikot wird mit der Zahl 100 bedruckt sein. Ansonsten gibt es reichlich verbale Würdigungen. Wenn die Ersatzleute Leno und Kevin Trapp über Neuer sprechen, klingt durch, wie viel besser der 35-Jährige immer noch ist. Neuer sei "gefühlt 25", findet Leno, besitze noch immer einen "blitzschnellen Instinkt". Der 29 Jahre alte Keeper vom FC Arsenal erspäht nicht mal in der Premier League einen besseren, auch die brasilianischen Ballfänger Ederson (Manchester City) oder Alisson (FC Liverpool) würden da nicht heranreichen, Neuer sei "noch ein Stück kompletter".
Neuer sei einfach etwas "ganz Besonderes", findet auch Trapp. Den 30-jährigen Schlussmann von Eintracht Frankfurt beeindruckt "die positive Präsenz, man hat nie das Gefühl, dass er nicht von sich selbst überzeugt ist." Leno wie Trapp sagen übrigens, sie würden stets noch im Training versuchen, "sich etwas abzuschauen".
Der fünffache Welttorhüter hält eben in einer anderen Liga. "Der beste Torwart, den ich je gesehen habe. Punkt!" rief Rückkehrer Mats Hummels im Trainingslager aus. "Ich habe nicht vor, meine Nationalmannschaftskarriere zu beenden", lautete Neuers Botschaft in den Tiroler Bergen. Das DFB-Trikot will der gebürtige Gelsenkirchener auch in Zukunft anziehen, "wenn es mir gut geht." Und genau wie Bundestrainer Joachim Löw ("immer offen, ehrlich, und kommunikativ, sehr positiv eingestellt und extrem professionell") schätzt auch Nachfolger Hansi Flick die Führungsqualitäten eines Ausnahmekönners, der sicher bis zur Heim-EM 2024 auf höchstem Niveau halten kann.
Marc-André ter Stegen scheint die Zeit davonzulaufen
Alles in allem keine guten Nachrichten für Kronprinz Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona, dem ein medizinischer Eingriff das Bankdrückerdasein bei dieser EM erspart. Dem 29-Jährigen läuft allmählich die Zeit davon. Dass auch ter Stegen Titel für Deutschland gewinnen kann, hat er 2017 beim Confed Cup bewiesen. Daher mutet es auf den ersten Blick kurios an, dass der Verband ausgerechnet diese Paradeposition langfristig als Problemzone ausgemacht hat. Die Akademie mit Leiter Tobias Haupt, einen ehemaligen Torhüter, hat jedoch nicht grundlos das Projekt "N_28" aufgelegt.
Hinter dem Code verbirgt sich die Suche nach dem Nationaltorwart im Jahr 2028. Denn im Nachwuchsbereich sieht es längst nicht mehr rosig aus. Vor allem die Spielpraxis fehlt. Bestens zu besichtigen bei der U21-Nationalmannschaft: Stammtorwart Finn Dahmen, 23 hat ganze drei Bundesligaspiele für den FSV Mainz 05 bestritten, Lennart Grill, 22, für Bayer Leverkusen nur vier Mal gespielt, und Markus Schubert, 22, für den FC Schalke 04 und Eintracht Frankfurt vergangene Saison keine einzige Minute.
Das Land der Torhüter droht seinen Status zu verspielen, zumal die internationale Konkurrenz bei der Ausbildung längst aufgeholt hat, wie der steigende Anteil von ausländischen Stammkeepern in der Bundesliga belegt. DFB-Torwartkoordinator Marc Ziegler hat umfangreiche Analysen angestellt, um die nächsten Jahre wieder gegenzusteuern. In den vergangenen sechs, sieben Jahren, findet Köpke, "ist gar nicht so viel schiefgelaufen". Er habe aber auch "ein bisschen Bauchschmerzen, dass die Jungs zu wenig spielen."
Torwarttalente in anderen Ländern sammeln deutlich mehr Einsatzzeiten. Wie der Italiener Gianluigi Donnarumma, der mit 22 Jahren bereits auf mehr als 200 Serie-A-Spiele für den AC Mailand und 25 Partien für die A-Nationalmannschaft kommt. Das setzt großes Vertrauen der Trainer voraus. Der DFB kann natürlich nicht in die Kaderplanung eingreifen, aber jungen deutschen Torhütern in allen drei Profiligen wieder vermehrt die Chance zur Entwicklung zu geben, wäre wünschenswert. Mitunter stehen sich die Hoffnungsträger mit einer wenig glücklichen Karriereplanung auch selbst im Wege. Prominentestes Beispiel: Alexander Nübel, 24, herausragend in seiner Jahrgangsstufe, hat sich mit den Bayern ausgerechnet jenen Verein ausgesucht, bei dem der beste Torhüter und Tennisspieler im deutschen Profifußball langfristig unter Vertrag steht.
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