„Wir können auch die Spanier schlagen“
Der 75-Jährige hat nie selbst bei einer EM gespielt. Nun begleitet er die deutsche Elf in Polen und der Ukraine
München Der ältere Herr, der am Gate 45 des Münchner Flughafens auf die Maschine nach Danzig wartet, erregt kein Aufsehen. Viele seiner Mitreisenden sind Polen. Die meisten anderen waren noch zu jung, um sich daran erinnern zu können, wie der kleine Dicke neben ihnen im Viertelfinale der WM 1970 gegen England mit dem Hinterkopf den 2:2-Ausgleich erzielte, ehe Gerd Müller in der Verlängerung zum 3:2 traf. Uwe Seeler war in den 50er und 60er Jahren eines der größten deutschen Fußballidole. Ein Hamburger Junge, der in 476 Spielen für den HSV sagenhafte 404 Tore erzielte. Nach 72 Länderspielen (43 Tore) beendete er 1970 seine internationale Karriere. 1972 war dann auch beim HSV Schluss. Was den heute 75-Jährigen über viele Spieler seiner Zeit hinaushob, war nicht nur seine sportliche Klasse. Seeler war ein Mann des Volkes.
Im Flugzeug war der Platz neben ihm frei. „Setzen Sie sich“, sagte er einladend, „aber schnallen Sie sich an, es soll Turbulenzen geben.“
Was führt Sie nach Danzig?
Seeler: Ich gehöre zur Delegation des Deutschen Fußball-Bundes. Der DFB fragt immer an, ob ich Zeit und Lust hätte, dabei zu sein. Lust habe ich immer. Manchmal fehlt nur die Zeit.
Was Europameisterschaften betrifft, holen Sie mit Ihrem Besuch jetzt nach, was Ihnen als Spieler nicht vergönnt war...
Seeler: Ja, ich habe leider nie bei einer EM gespielt. 1968, bei der ersten Europameisterschaft, für die sich die Teilnehmer qualifizieren mussten, war ich verletzt.
Auch wenn Sie fit gewesen wären, hätten Sie nicht gespielt. Deutschland war nicht qualifiziert...
Seeler: Ja, wegen des 0:0 in Albanien. Aber dort war ich auch schon nicht mehr dabei.
Die „Schmach von Tirana“ hieß es, als die Deutschen mit Netzer, Overath und Held im Fußball-Entwicklungsland Albanien die EM-Qualifikation verspielten. Wie haben Sie die Blamage erlebt?
Seeler: Ich war ja zu Hause. Aber ich war entsetzt. Wir waren alle enttäuscht.
Sie hatten wegen Ihrer Rückenbeschwerden bereits den Abschied von der Nationalmannschaft angekündigt. Warum haben Sie es sich dann anders überlegt?
Seeler: Weil Sepp Herberger und Helmut Schön mich überredet haben, mit Gerd Müller zusammen bei der WM 1970 in Mexiko eine Doppelspitze zu bilden...
...was ja auch hervorragend funktioniert hat...
Seeler: Das kann man sagen. Gerd war mit zehn Treffern WM-Torschützenkönig. Ich hab dreimal getroffen.
Was hat zum Beginn Ihrer Karriere in den 50er und früheren 60er Jahren das Wesen einer Mannschaft ausgemacht, und was, glauben Sie, macht es heute aus?
Seeler: Die Bedingungen waren derart unterschiedlich, dass ich keine Vergleiche ziehen möchte. Wir waren zufrieden mit dem, was wir hatten, weil keiner Dinge vermisst, von denen er nicht weiß, dass es sie gibt. Mit Sicherheit waren die Chancen für Alleingänge, ob auf oder neben dem Platz, viel geringer. Der damalige Bundestrainer Sepp Herberger war zwar väterlich, aber er war auch autoritär. Was zudem nicht zu vergessen ist: Wir Deutschen waren auch als Fußballer nach dem Krieg nicht überall gleich gerne gesehen.
Die deutsche Geschichte hat die DFB-Auswahl in Polen wieder eingeholt. Es gab einen Besuch einer DFB-Delegation mit den Spielern Lahm, Podolski und Klose in der Gedenkstätte Auschwitz. Hinterher kritisierte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, dass nicht alle Spieler dabei waren. Halten Sie die Kritik für berechtigt?
Seeler: Ich finde es gut, dass der DFB diese Aktion gemacht hat. Und ich finde, er hat das in dieser Form gut gemacht. Die Kritik kann ich nicht nachvollziehen.
Zurück zum Sportlichen. Wo würden Sie die deutsche Mannschaft im 16er-Feld der EM ansiedeln?
Seeler: Ganz oben.
Ganz oben. Heißt das noch vor Welt- und Europameister Spanien?
Seeler: Wir können die Spanier schlagen. Die haben ihre Schwächen, vor allem in der Abwehr.
Zwischen Ihnen und den meisten deutschen Spielern liegt über ein halbes Jahrhundert Altersunterschied. Weiß eigentlich noch jeder aus der Mannschaft, wer Sie sind?
Seeler: Das wissen die. So etwas spricht sich herum.
Interview: Anton Schwankhart
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