Den Schnauzer voll
In der Stunde seines größten Triumphes tritt Jos Luhukay zurück. Wie es nun weitergeht beim FC Augsburg? Und mit wem? Sicher ist nur das: Es herrscht Unsicherheit.
Die Zukunft des FC Augsburg nach der Ära Andreas Rettig und Jos Luhukay beginnt mit dicken Wolken und Regenschauern über der SGL-Arena. Es herrscht Schmuddel-Wetter, als Torhüter Mohamed Amsif, 23, und Edmond Kapllani, 29, als Letzte aus dem Mannschaftskader um 10.57 Uhr vorfahren – und beinahe die wohl wichtigste Team-Besprechung der letzten Jahre verpassen.
Dass sie das werden würde, eben das dachten die FCA-Profis vor dieser letzten Mannschaftssitzung, bevor es anschließend in den Urlaub ging. Sie wollten Hintergründe erfahren über das, was sich am Samstag um kurz vor 18 Uhr ereignet hatte. Während draußen die Fans den Klassenerhalt feierten, trat Trainer Jos Luhukay in der Stunde seines größten Triumphes zurück.
„Es tut verdammt weh“, sagte der Niederländer und wirkte dabei menschlich enttäuscht von seinem Chef Walther Seinsch, der am anderen Ende des Podiums saß und Luhukay kaum eines Blickes würdigte. Luhukay sagte, er sei durch die Vordertür gekommen und er gehe auch durch die Vordertüre wieder. Dabei wäre sein Vertrag bis 2013 gültig gewesen. Vereinschef Seinsch hatte vorher erklärt, dass man diesen Schritt akzeptiere. „Ich bedaure diesen Schritt außerordentlich. Dies ist meine ehrliche Meinung, umso größer ist die Enttäuschung und der Frust, dass es so ist. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.“ Fragen nach den Gründen waren nicht erlaubt.
Seinsch hinterlässt ratlose Spieler
Antworten hatten sich die Spieler am Sonntag erhofft. Sie wurden enttäuscht. Um genau 11.05 Uhr verließ FCA-Chef Walther Seinsch schon wieder das Stadion und hinterließ seine Arbeitnehmer relativ ratlos. Die Ansprache hatte nicht einmal zehn Minuten gedauert.
„Herr Seinsch hat nur gesagt, dass der Name des neuen Trainers irgendwann in diesen Tagen bekannt gegeben wird und wir es dann auch erfahren. Er hat ihn als Teamplayer charakterisiert“, erklärte einer der Spieler, dem es lieber ist, dass sein Name nicht genannt wird. Es herrscht Unsicherheit in diesen Tagen des Wandels. Wenigstens teilte der neue Manager Sport, Manfred Paula, den Spielern noch mit, wann sie wieder zum Training erscheinen müssen. Am 24. Juni beginnt der FCA mit der Vorbereitung auf die zweite Saison in der Bundesliga. Die startet aufgrund der Europameisterschaft erst am 24. August.
Dann wird wohl Markus Weinzierl, 37, das Sagen am Spielfeldrand haben. Der Fußball-Lehrer steht aber noch in Diensten des Drittligisten SSV Jahn Regensburg, der in der kommenden Woche in der Relegation gegen den Karlsruher SC um den letzten freien Platz in der 2. Bundesliga kämpft. Darum wohl auch die Geheimniskrämerei. Doch warum kam es zu diesem Zerwürfnis in der so heil wirkenden FCA-Familie? Die, die es aufklären hätten können, schweigen sich dazu aus oder reden um den heißen Brei herum.
Die große Frage: Warum?
War es das Zögern Luhukays, sich weiter zum Verein zu bekennen, das Seinsch veranlasste, sich anderweitig umzuschauen, mit Paula einen neuen Manager zu installieren, ohne Luhukay in seine Pläne einzuweihen, und auch nach einem neuen Trainer zu suchen? Wurden darum die Verträge der Co-Trainer nicht verlängert?
Oder waren es genau diese Aktionen, die Luhukay veranlassten, über seine Zukunft beim FCA nachzudenken? Die ihm zeigten, dass der FCA auf eine weitere Zusammenarbeit keinen großen Wert mehr legte, dass Seinsch schon länger an einem Plan B ohne ihn arbeitete?
Erleichtert wurde ihm sein Schritt wohl auch dadurch, dass schon im Dezember Manager Andreas Rettig seinen Abschied bekannt gab. Luhukay und Rettig waren es hauptsächlich, die den FCA von einem Fast-Zweitliga-Absteiger zu einem anerkannten Bundesliga-Mitglied formten. Dabei stand Rettig immer hinter den nicht immer unumstrittenen Entscheidungen von Luhukay. Gegenüber den Spielern, aber auch gegenüber der Vereinsführung. Eins ist unübersehbar. Seinsch nahm nach seiner Depressions-Erkrankung die Zügel in der Profi-Abteilung wieder mehr in die Hand. Vielleicht kündigte Rettig auch darum.
Seinsch ist Vater des Fußballwunders
Der FCA erfindet sich in einer Phase vollkommen neu, in der er eigentlich Kontinuität und Stabilität bräuchte. Als kleiner Fisch versucht er, sich im Haifischbecken Bundesliga zu behaupten. Seinsch krempelt „seinen“ Verein derzeit komplett um. Die Frage ist: Ist er dabei ein Getriebener oder treibt er an?
Nicht wenige Fans gehen immer mehr auf Abstand zu Seinsch. Als der die Trennung von Luhukay via Video ins Stadion verkündete, waren Pfiffe nicht zu überhören. Dabei galt Seinsch bisher als Vater des Fußballwunders. Innerhalb von elf Jahren führte er den FCA aus der Bayernliga in die Bundesliga.
Und vergaß dabei nie die Menschen auf den Stehplätzen. Dort fühlt er sich schon immer wohler als in den VIP-Loungen der SGL-Arena. Den Gefühlen des kleinen Fans war er immer schon nahe. Gleichzeitig ist er aber auch ein knallharter Geschäftsmann, für den der FCA auch ein lohnendes Investment ist, das er mit eiserner Hand führt und auch auf Ertrag trimmt. Bei der Auswahl seines Personals war er nie zimperlich. Da wurden Trainer und Manager entlassen, ohne groß mit der Wimper zu zucken. „Von zehn Personalentscheidungen sind neun falsch“, hatte der so erfolgreiche Unternehmer früher einmal gesagt.
Luhukay war ein Glücksgriff
Als er dann 2006 Andreas Rettig nach Augsburg holte, kehrte Konstanz ein. Seinsch respektierte dessen Fachkompetenz. Dabei hatte auch Rettig nicht immer ein glückliches Händchen, doch mit Luhukay gelang ein Glücksgriff. Der Niederländer gilt in der ganzen Fußballszene als der Inbegriff des integren Sportmannes. Aber auch als ein Mann mit Prinzipien, der sich nicht verbiegen lässt. Beim Zweitligisten SC Paderborn hat er 2006 zwei Tage vor Saisonstart hingeschmissen, weil sich der Vereinschef in seine Angelegenheiten einmischen wollte.
Luhukay hielt sich beim FCA loyal an das Stillhalteabkommen, bis der Klassenerhalt gesichert war. Jetzt hat er einen Schlussstrich gezogen. Dabei war es eigentlich das Jahr des FCA. Auch dank Walther Seinsch. Er hatte Luhukay eine Job-Garantie gegeben, der hatte es mit gutem Fußball und am Ende mit dem Klassenerhalt gedankt. Der FC Augsburg war auf einem guten Weg, sich wie Freiburg oder auch Mainz ein ganz eigenes, positives Image zu erarbeiten. Ein Image, an dem neben dem Management, dem Trainer-Team, der Mannschaft auch die wundervollen Augsburger Fans ihren Anteil haben. Sie erzeugten bei den 17 Heimspielen eine magische Atmosphäre in der SGL-Arena.
Manfred Paula ist Bundesliga-Neuling
Jetzt fühlen sie sich nicht ernst genommen. Nicht nur, weil über 10 000 ihre Dauerkarte verlängert hatten, bevor der Kessel explodierte. Sondern auch darum, weil man ihnen nicht reinen Wein einschenkt.
Wenige Wochen haben gereicht, um den Kredit fast vollständig zu verspielen. Jetzt steht Seinsch unter Druck. Er muss jetzt zusammen mit Manager Paula ein konkurrenzfähiges Team aufstellen. Viele, die Ahnung in diesem Geschäft haben, bezweifeln das Gelingen. Paula ist ein Bundesliga-Neuling, und auch der designierte Coach Weinzierl gilt als unbeschriebenes Blatt.
Die Medienlandschaft ist ob der Vorgänge, die ihren Höhepunkt am Samstag erreichten, irritiert. Das Bild der großen FCA-Familie hat plötzlich Risse bekommen. Die Welt am Sonntag bezeichnete „das chaotische Treiben“ um den FCA als „schwäbischen Dilettantenstadl“ und „Komödienstadl“. Nur zwei Seiten später wird Walther Seinsch aber als einer der Gewinner der Saison gehuldigt. Beides trifft zu und beides zeigt, wie ambivalent die Lage eingeordnet wird. Walter M. Straten, der Sportmeinungsmacher der Bild, hat am Sonntag seine Nase in die Tür beim FCA reingesteckt und festgestellt, „dass es auch hinter einer sympathischen Fassade richtig stinken kann“.
Das liegt in der neuen SGL-Arena nicht am feuchten Mauerwerk.
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