Max Kruse weiß nicht, wer das WM-Siegtor 1974 geschossen hat. Na und? Der Stürmer lehrt, wie künftig mit Wissenslücken umgegangen werden sollte.
Es ficht den großen Max Kruse nicht an, ihn eher als Praktiker denn Theoretiker zu bezeichnen. Der Mann wird dafür bezahlt, Tore zu schießen – nicht für das Nacherzählen x-beliebiger Treffer. So verwundert es auch nicht, dass der Berliner Stürmer in einer Samstagabendshow nicht den Torschützen zum deutschen WM-Gewinn 1974 nennen konnte.
Mit Gerd Müllers Tor zum 2:1 gegen die Niederlande sollen sich die Historiker befassen, ein Max Kruse lebt im Hier und Jetzt. Seine Begründung (seit wann braucht ein Max Kruse überhaupt eine Begründung?) für die nur vermeintliche Wissenslücke: "War vor meiner Zeit." Genial. Weil von weitreichender Bedeutung und von unschätzbaren Wert für Milliarden kommender Schülerinnen und Schüler.
Die Welt vor Kruses Zeit? Irrelevant!
Binomische Formeln? Entdeckt vor meiner Zeit! Gründung Roms? Vor meiner Zeit!
Noch allgemeiner gefasst, wirft der visionäre Kruse beiläufig einen Blick auf unser falsches Verständnis von Grundwissen. Was ist das, dieses „Grundwissen“? Für Kruse gibt es offensichtlich keinen Grund zu wissen, wer 1974 den Ball zum WM-Sieg ins Tor geschossen hat. Dafür weiß er sehr gut, wie man Poker spielt. Oder mit einem Wechsel in der Winterpause von Berlin nach Wolfsburg überrascht. Im Zweifelsfall ist das finanziell ergiebiger. Fort nun also aus den Schulbüchern mit dem Endoplasmatischen Retikulum, den fünf Weltreligionen, Flaschenzug-Berechnungen und unregelmäßigen Verben. Lehret den Nachwuchs, eine Bierflasche mit dem Feuerzeug zu öffnen! Zeigt ihm, woran der Fahrkartenkontrolleur zu erkennen ist – und wie ihm zu entkommen ist!
Kennen Sie das "Kruse-Paradox"?
Max Kruse ist ein Meister der Schule des Lebens. Das TV-Duell am Samstag hat er trotz der Wissenslücke gewonnen. Weil er seine Stärken auf praxisnahen Feldern ausgespielt hat. Stärken, die es den Wolfsburgern wert waren, dem Stürmer einen "langfristigen und hoch dotierten" (O-Ton Kruse) Vertrag vorzulegen. Kruse ist seiner Zeit voraus und spielt nun für ein Team, dessen Trikot er schon einmal getragen hat. Das wiederum erschwert es zu erkennen, was nun wirklich vor seiner Zeit war – das sogenannte Kruse-Paradox.
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Max Kruse ein Typ der auch Leistung bringt, scheint aber bald VW zu fahren.
Gut getroffen, diese Glosse (= polemischer Kommentar). So weit sie Max Kruse betrifft ist es keine Glosse, sondern leider die Wahrheit.
Eine herrliche Zustandsbeschreibung - mit dem Transformator Max Kruse - des Profifußballs, seiner Strukturen, seiner Werte und dem Standing seiner Protagonisten.
Vielen Dank Herr Mehl!