Abfahrt auf einem dünnen Band Kunstschnee
Das Abfahrtsrennen in Südkorea wird auf einem einfachen Kurs gefahren. Mit den Klassikern in Kitzbühel oder Bormio ist es nicht zu vergleichen. Seine Tücken hat es trotzdem.
Eine eigentümliche Atmosphäre herrscht in Jeongseon, etwa 50 Autominuten von den Skischanzen in Pyeongchang entfernt. Weiße Bänder schlängeln sich den Berg hinunter, links und rechts eingerahmt durch das Grün der Kiefern und das Braun der kahlen Erde. Sepp Ferstl gefällt der Kurs: „Sehr cool, aber man weiß noch nicht so genau, wo die Ideallinie liegt“, sagt der Abfahrer. Am Sonntag sollten hier die Männer ihre Königsdisziplin austragen, doch das Rennen wurde wegen starken Winds verschoben. Auf dem Pistenplan für Skitouristen wäre der Kurs mit der Farbe blau markiert. Blau = leicht.
„Die Strecke ist nicht vergleichbar mit den schwierigen Weltcup-Strecken wie in Kitzbühel, Beever Creek oder Bormio“, sagt Ferstl und hängt den entscheidenden Zusatz an: „Aber es ist schwer, schnell zu sein.“ Das unterstrichen die Zeiten der Trainingsläufe. Im zweiten Training am Freitag fuhr der 29-Jährige aus Traunstein nicht unter die ersten 30.
Thomas Dreßen dagegen tastete sich schon an die Spitze heran. Im zweiten Übungslauf legte der Streif-Sieger die neuntschnellste Zeit hin. Andreas Sander landete mit 1,19 Sekunden Rückstand auf den Trainingsschnellsten Christof Innerhofer aus Südtirol auf dem 16. Platz.
Ungewohnte Verhältnisse für die Athleten
In den Tagen vor der Eröffnungsfeier hatten die Rennläufer an den bitterkalten, aber trockenen Tagen ausgiebig Gelegenheit, sich auf die ungewohnten Verhältnisse einzustellen. Über Wochen hatten die Koreaner die Strecke in Jongseon beschneit. Rund eineinhalb Meter Kunstschnee liegt auf der 2,6 Kilometer langen Piste.
Schnee ist jedoch nicht gleich Schnee, die Rennfahrer haben ein ganz besonderes Gespür für den weißen Untergrund. Die von Pistenbauer Bernhard Russi gestaltete Olympiastrecke liegt am 1561 Meter hohen Gariwang-san Gebirgszug, der parallel zur Ostküste verläuft.
„Das Meer ist nicht weit weg, das ist knifflig“, urteilt der österreichische Spitzenläufer Hannes Reichelt. Der 37-jährige Super-G-Weltmeister von 2015 aus Altenmarkt zählt zu den erfahrenen Speed-Spezialisten im Feld. Das Fahren mache Spaß, „aber ob es für die Zuschauer eine Freude ist, weiß ich nicht, das müsst ihr entscheiden“, sagt Reichelt mit einem breiten Grinsen in die Journalistenrunde.
Im Zielhang steht eine blaue Tribüne mit Sitzschalen für rund 3000 Zuschauer. Im Vergleich zur legendären Streif in Kitzbühel ist der Olympia-Lauf ein Kirmesrennen. In Österreich feiern rund 45.000 Fans die Ski-Helden und sich selbst.
Olympia-Lauf ist ein Kirmesrennen im Vergleich zur Streif
Die Abfahrer residieren abseits vom olympischen Leben in Pyeongchang. Thomas Dreßen taugt das, wie der 24-Jährige aus Mittenwald sagt. „Ich finde es schön hier, wir haben unsere Ruhe und finden beste Bedingungen vor.“ Direkt an der Talstation steht das 300-Betten-Hotel, in dem die Mannschaft untergebracht ist.
Eine große Rolle, darin sind sich die Abfahrer einig, werden die Bretter spielen, auf denen sie ins Tal rasen. „Das Material ist extrem wichtig hier“, sagt Beat Feuz, Sieger des Kandahar-Rennens von Garmisch-Partenkirchen. Es gilt, nicht zu aggressiv zu fahren.
Saison-Aufsteiger Dreßen baut auf seine Gleiter-Qualitäten. Für den 100-Kilo-Mann sind der Schweizer Feuz und Aksel Lund-Svindal aus Norwegen die Gold-Favoriten. Die Kunstschnee-Piste verlangt viel Ski-Gefühl. „Es ist schwer, schnell zu sein, aber man kann leicht viel verlieren,“ sagt Thomas Dreßen über den vergleichsweise einfachen Kurs. Während schwierige Pisten auch mal einen Ausrutscher verzeihen, „darf man sich hier nicht einen Fehler erlauben“. Nach seinem Sensationssieg auf der Streif strotzt der Mittenwalder aber vor Selbstvertrauen: „Ich traue mir selbst schon was zu.“
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