Pro und Contra: Soll der Siemens-Chef nach Saudi-Arabien reisen?
In Saudi-Arabien findet ein Wirtschaftsgipfel statt. Viele Manager haben nach dem Mord am Journalisten Kaschoggi abgesagt. Was sollte Joe Kaeser tun?
Nach dem mutmaßlichen Mord an dem saudi-arabischen Journalisten Dschemal Kaschoggi hat sich Siemens-Chef Joe Kaeser nach wie vor nicht entschieden, ob er nächste Woche an einer Investoren-Konferenz in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad teilnehmen soll oder nicht. Was aus der Sicht unserer Autoren für und gegen eine Teilnahme spricht:
Pro: Kaeser muss vor Ort Haltung zeigen
Einfach zuhause bleiben, wenn es unangenehm werden könnte, kann eine sehr bequeme Art sein, Haltung zu zeigen. Das Risiko mit dieser Art des Nichthandelns, einen Fehler zu machen, ist deutlich geringer, als es mutiges Auftreten oder sich Einmischen mit sich bringt. Wäre Joe Kaeser ein Mann, der Probleme am liebsten aussitzt, wäre er jemand, der das Risiko und falsche Entscheidungen fürchtet, lieber abwartet, bis sich die Dinge von selber lösen, Joe Kaeser wäre niemals Vorstandschef von Siemens geworden.
Auf dem saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman lastet seit dem Verschwinden des Regimekritikers Dschemal Kaschoggi ein monströser Verdacht: Ist der 33-jährige saudische Königssohn nicht der Reformer, als der er sich inszeniert, sondern ein Schlächter, der seine Kritiker auf bestialische Weise zu Tode foltern lässt? Nachdem Tod Kaschoggis haben viele Manager abgesagt. Sie wollen nicht an Salmans arabischem Wirtschaftsgipfel teilnehmen, der auch „Davos in der Wüste“ genannt wird.
Kaeser steht nun in der Kritik, weil er sich Bedenkzeit erbeten hat, wie er sich entscheiden werde. Doch der Siemenschef sollte, ganz wie es seiner Art entspricht, den unbequemen Weg wählen und – wie es ebenso seine Art ist - vor Ort Haltung zeigen. Wie kein anderer Konzernchef vor ihm, hat Kaeser klar gegen den offenen Fremdenhass der AfD Stellung bezogen. Und es ist kein Zufall, dass seit seiner Regentschaft erstmals bei einem Dax-Konzern mit Personalvorstand Janina Kluge eine Frau als Nummer zwei Siemens nach außen vertritt. So wie Siemens heute für europäische Ingenieurskunst in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit steht, sollte Kaeser auf der Konferenz die europäischen Werte von Demokratie, Menschenwürde und Pressefreiheit zum Ausdruck bringen und ein Signal ins im Umbruch befindliche saudische Königreich senden. Dies ist eigentlich nicht die Aufgabe eines Industriekapitäns, sondern eines deutschen Außenministers. Doch die politische Blässe und das bequeme Wegducken von Heiko Maas verkörpert nur die Schwäche der Bundesregierung und der deutschen Sozialdemokratie. Michael Pohl
Contra: Kaeser darf nicht zu den Saudis fahren
Dass Joe Kaser zögert, nächste Woche an einer Investoren-Konferenz in Saudi-Arabien teilzunehmen, zeigt: Am Gewissen des Siemens-Chefs nagen schon moralische Skrupel. Wie würde das auch zusammen passen: Zu Hause der AfD samt seiner Spezial-Feindin Alice Weidel twitternd die Stirn bieten und in Riad um die Gunst der Mächtigen buhlen, an deren Händen Blut klebt? Moral ist keine flexible Größe, sondern ein Fixstern der Existenz.
Dabei kann der 61-Jährige ein ethisches Aufbau-Studium allein dank der eigenen Firmen-Internetseite absolvieren. Dort steht: „Siemens business is clean business.“ Kaesers Vorgänger Peter Löscher hat das so übersetzt: „Nur saubere Geschäfte sind Siemens-Geschäfte.“ Doch Geschäfte mit Saudi-Arabien wirken, stets very dirty, also extrem schmutzig.
Das waren sie schon von jeher. Denn auch der Siemens-Chef kennt sicher die Berichte der Organisation Human Rights Watch. Demnach wurden in Saudi-Arabien seit 2014 rund 600 Menschen hingerichtet, also enthauptet. Das bestialische Schauspiel geht leider weiter, obwohl Kronprinz Mohammed bin Salman Besserung gelobt hatte. Und da Gerüchte nicht verstummen wollen, dem regimekritischen Journalisten Kaschoggi seien in der saudischen Botschaft in Istanbul von Häschern der Scheichs Finger abgeschnitten worden, um den Mann schließlich mit einer Säge zu zerteilen, sollte Kaeser nicht nach Riad fliegen. Warum nicht einige Tage in einem bayerischen Kloster über die moralischen Siemens-Regeln meditieren. Dort ist von „Null-Toleranz gegenüber Rechtsverstößen“ die Rede. Wie der Siemens-Chef zu ausländerfeindlichen Äußerungen der AfD-Frontfrau twitterte: „Lieber „Kopftuch-Mädel“ als Bund Deutscher Mädel. Frau Weidel schadet mit ihrem Nationalismus dem Ansehen unseres Landes in der Welt“, könnte er sich jetzt knackig ermuntern: „Joe, haudie Saudi!“ Damit würde er eine Schlagzeile der Bild aufgreifen. Die Zeitung hatte 2002 Team-Chef Rudi Völler aufgefordert: „Rudi, haudi Saudi.“ Das Spiel gegen Saudi-Arabien ging 8:0 für uns aus. Jetzt muss Kaeser treffen. Stefan Stahl
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