Schafft Volkswagen das?
Wie zwei führende deutsche Automobil-Experten die Zukunft des größten deutschen Konzerns und seiner Top-Leute sehen. Beim Dieselmotor sind sie sich uneins.
Am Volkswagen-Stammsitz in Wolfsburg kursiert ein komisches Wort mit Übersetzungsbedarf. Immer wieder sprechen Top-Leute davon, die „Visibilität“ sei zurückgekehrt. Visibilität? Ist das ein Tarnname für eine neue Abgas-Trickser-Software? Natürlich nicht.
Visibilität steht für Erkennbarkeit und Sichtbarkeit, für Manager extrem wichtige Dinge. Sie müssen in etwa wissen, wohin die Fahrt gehen könnte. Während der Abgas-Krise war gerade im Winter Müller und seinen Vorstands-Mannen die Visibilität lange abhandengekommen.
Sie stocherten im Nebel. Jetzt herrscht klarere Sicht. Das Führungsteam des größten deutschen Konzerns mit 610.000 Mitarbeitern glaubt, den Horizont zu sehen.
Volkswagen kann Höhe der Strafzahlungen abschätzen
Die bessere Sicht wurde erreicht, weil die Volkswagen AG in der Lage ist, die Höhe der drohenden Strafzahlungen und Kosten für Rückrufe in etwa abzuschätzen. Deshalb bunkerte das Unternehmen erst einmal gut 16 Milliarden Euro, um die bevorstehenden Schrecknisse bezahlen zu können.
Für einen klareren Blick sorgt auch eine erste Einigung über die Entschädigung von US-Autofahrern. Daher glauben führende, von unserer Zeitung befragte Auto-Experten, dass Volkswagen nach harter Arbeit und schweren Jahren die Krise hinter sich lassen kann.
Professor Willi Diez ist überzeugt: „Der Konzern hat die finanzielle Kraft, die Krise zu bewältigen. Die schaffen das.“ Als Begründung führt der Direktor des Institutes für Automobilwirtschaft an der Hochschule Nürtingen-Geislingen die breite Aufstellung des VW-Konzerns an.
Das China-Geschäft etwa laufe relativ gut. Volkswagen ist es gelungen, vor dem japanischen Konkurrenten Toyota wieder den Automobil-Absatzthron zu besteigen. Der frühere Daimler-Manager Diez sieht den Abgas-Skandal mit internationaler Brille: „Dies ist vor allem in Deutschland und den USA ein Thema. In China interessiert das die Menschen kaum.“
Daher glaubt er: „VW ist nicht existenziell bedroht.“ Seiner Ansicht nach kommt der Skandal für den Standort Deutschland „nur einem Kratzer im Lack“ gleich. Das sei alles andere als schön, aber nicht lebensbedrohlich für die Automobilindustrie.
Was müssen Volkswagen-Manager nun unternehmen, damit die Visibilität intakt bleibt? Diez sagt: „Jetzt ist Krisenmanagement gefragt.“ Nebenkriegsschauplätze, wie sie im konzerninternen Streit um Bonus-Zahlungen für Manager aufgetreten sind, müssten befriedet werden.
Was interessant ist: Im Gegensatz zu anderen Auto-Kennern glaubt der Experte aus Baden-Württemberg, dass Volkswagen die richtige Führungsmannschaft habe: „Das Team sollte weitermachen. Vorstandschef Müller macht das eigentlich gut, und Aufsichtsrats-Boss Pötsch ist ein integrer Mann.“
Letzteres sieht Deutschlands bekanntester Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer etwas anders. Der Professor an der Uni Duisburg-Essen glaubt zwar, dass Müller mit der USA-Geschichte Boden unter den Füßen gewonnen habe und dass VW die Krise bewältigen könne, mit Hans Dieter Pötsch geht der Ex-Automanager Dudenhöffer (Citroën, Peugeot, Porsche, Opel) aber hart ins Gericht: Der frühere VW-Finanz-Chef Pötsch werde den Konzern noch richtig viel Geld kosten, wenn die Klagen der Aktionäre gegen VW verhandelt werden.
Ist Besitzern von VW-Papieren ein finanzieller Schaden entstanden?
In dem Fall geht es darum, ob Volkswagen die Anteilseigner zu spät über den Skandal informiert hat und den Besitzern von VW-Papieren dadurch ein finanzieller Schaden entstanden ist. Dudenhöffer kann sich mit Pötsch generell nicht anfreunden: Er habe in der Boni-Diskussion, als sich VW-Manager trotz der sündteuren Affäre dicke Gehälter genehmigt haben, in seinem Amt als Aufsichtsrats-Chef eine seltsame Rolle gespielt. Das Fazit des Auto-Experten: „So viele Dinge kommen selten zusammen, noch nicht einmal in einer Bananen-Republik.“
Durch den Volkswagen-Skandal ist der in Deutschland so beliebte Dieselmotor in die Kritik geraten. Hat die Technik eine Zukunft? Hier setzen Diez und Dudenhöffer andere Akzente. Ersterer glaubt, der Diesel verliere nicht an Bedeutung. Auf Dauer werde der Markt aber durch die Elektromobile kleiner. Aber gerade bei SUVs, also sportlichen Geländewagen, spielt der Dieselmotor nach den Prognosen von Diez weiter eine große Rolle.
Dudenhöffer glaubt hingegen, dass es für die Diesel-Technik „schwieriger wird, als alle denken“. Die Folgen des Skandals würden der deutschen Autoindustrie auf die Füße fallen: „Sie werden sich da Stück für Stück zurückziehen.“
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