Wie sich Volkswagen hinter den Kulissen zerfleischt
VW-Chef Müller wirbt für einen Neuanfang. Das genügt Betriebs- und Aufsichtsräten nicht. Sie kritisieren hohe Managergehälter. Einer möchte am liebsten in die Tischkante beißen.
Wieder muss Matthias Müller Demut zeigen, wieder sich entschuldigen, wie schon auf der Hannover-Messe gegenüber Barack Obama. Zwei Minuten hatte der Volkswagen-Chef dort Zeit, vor dem US-Präsidenten Buße zu tun.
Der Bayer an der Spitze des größten deutschen Konzerns mit 610.000 Mitarbeitern hat schon Routine im Abbitte-Leisten. Er kann rasch von einem Lächeln auf einen Beerdigungsblick umschalten. Der 62-jährige schlanke Mann mit dem weißen Haar beugt dann den Kopf nach unten, spricht langsam und leise.
Wie alle VW-Manager wählt Müller für diesen Donnerstag in Wolfsburg einen dunklen Anzug und eine gedeckte Krawatte. Die riesige Halle des Kundencenters, in dem sonst stolze Käufer ihr Auto abholen, ist in Weiß und Schwarz ausgeschmückt, selbst die hunderten Journalisten verzichten bei dem Trauer- und Neubeginns-Spektakel komischerweise nahezu auf alles Bunte.
Nur draußen verströmt ein Gärtner Fröhlichkeit. Er verschönert ein in Schräglage angelegtes, gelb leuchtendes Blumenbeet. Welcher Kontrast zum größten Verlust der Firmengeschichte von 1,36 Milliarden Euro. Müller versucht, das alles vergessen zu machen, während aus einem der vier riesigen Türme des VW-Stammwerkes weißer Rauch aufsteigt. Mit in Falten gelegter Stirn sagt der Manager: „Ich bin überzeugt, wenn wir als Führungskräfte das Richtige vorleben, dann setzt es sich auch durch.“
Ein wenig pastoral wirkt Müller. Der Mann kann wunderbar zerknirscht schauen, wenn er die Software-Manipulationen bei Dieselmotoren bedauert: „Das schmerzt uns. Das tut uns aufrichtig leid.“
Leben Vorstandsmitglieder von Volkswagen das Richtige vor?
Aber leben der Konzern-Chef und seine Vorstandskollegen den Beschäftigten das Richtige vor? Daran bestehen in einer dummerweise entscheidenden Hinsicht Zweifel. Es hat sich ein großer Graben aufgetan zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Müllers Versprechen eines „besseren“ und moralischeren Volkswagens und den real existierenden Boni-Bräuchen in der Spitzen-Managerkaste.
So weist der VW-Lenker die Reporter nicht von sich aus auf das interessanteste Thema des Tages hin. Es befindet sich gut versteckt ab Seite 67 im dicken Geschäftsbericht, normalerweise nur eine Lektüre für Zahlen-Freaks. Doch was dort steht, wird viele Bürger empören.
Denn zu Zeiten, in denen der Konzern Kapital vernichtet, kräftig spart, Arbeitsplätze auf den Prüfstand stellt und gigantische 16,2 Milliarden Euro für Strafzahlungen und Kosten des Skandals bunkern muss, lassen sich die Top-Leute fürstliche Gehälter auszahlen.
VW-Vorstände erhalten 35 Millionen Euro Boni
Insgesamt erhalten die Vorstände für das vergangene Jahr bis zu 35 Millionen Euro an erfolgsabhängigen Vergütungen, wie die Boni im Managerdeutsch heißen. Ein genaues Studium der Tabellen lohnt sich. Müller hat nicht einmal am meisten verdient. Er begnügt sich für das Jahr des größten Skandals in der VW-Geschichte mit rund 4,76 Millionen Euro, davon 3,65 Millionen Euro „erfolgsabhängiger“ Vergütung.
Das Wort Erfolg entbehrt in der Angelegenheit nicht einer gewissen Ironie, gerade wenn es um den zurückgetretenen Konzern-Chef Martin Winterkorn geht. Weil der „WiKo“ genannte Mann bis 25. September 2015 noch auf der VW-Vorstandsgehaltsliste stand, wird er mit 7,31 Millionen Euro bedacht, wobei 5,87 Millionen leistungsbezogen sind. Gehalts-Krösus bei Volkswagen ist Andreas Renschler, der von Daimler abgeworben wurde und einschließlich Bonuszahlungen auf 15,57 Millionen kommt, in etwa so viel, wie Winterkorn zu Spitzenzeiten verdiente.
Müller, der froh ist, das „Schneller-Höher-Weiter“ im VW-Konzern erst einmal hinter sich zu wissen, bringen die Seiten 67 und folgende des Geschäftsberichts in Erklärungsnot, auch wenn die unglaublichen Gehälter in Skandalzeiten mit einer einschränkenden Fußnote versehen sind. Unter dem Wortmonster „Zurückbehaltung“ steht, dass aktive Vorstände 30 Prozent der Boni nicht sofort bekommen.
Ob und wie viel sie sich davon sichern können, hängt davon ab, dass sich der Aktienkurs positiv entwickelt. All das sind, um es im bayrischen Dialekt Müllers zu sagen, saubere Schmankerl aus der Welt der Aktiengesellschaften, bestes Futter für Kapitalismus-Kritiker.
Auch sonst dem hiesigen ökonomischen System nicht abgeneigte Menschen bringt die Volkswagen-Boni-Politik in Rage. Hier scheinen mittlerweile Dämme zu brechen. War VW früher für Kritiker von außen eine schwer einnehmbare Wagenburg, sind längst Flanken offen. In eine stößt ausgerechnet der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies, ein Sozialdemokrat, der bisher nicht als Lautsprecher aufgefallen ist.
Jetzt sagt der 48-jährige Friese, die hohen Boni seien der Gesellschaft nicht zu erklären: „Wir reden über Summen, die Menschen, die hart arbeiten müssen, in ihrem ganzen Arbeitsleben nicht verdienen werden.“ Lies, der als Vertreter des VW-Großaktionärs Niedersachsen auch Aufsichtsrat des Konzerns ist, hätte sich ein deutlicheres Zeichen des Verzichts von Müller und seinen Kollegen gewünscht.
Vollends löchrig wird die Wagenburg durch die Attacken eines der mächtigsten Spieler im Volkswagen-Reich. Der kahlköpfige Bernd Osterloh musste viel schlucken in den vergangenen Monaten. Er ist der Gesamtbetriebsrats-Vorsitzende des Unternehmens, also der oberste Arbeitnehmervertreter.
Viele VW-Beschäftigte würden auf ein Prämie verzichten, wenn...
Als Gewerkschafter weiß er die meisten Beschäftigten in Deutschland hinter sich, schließlich sollen in Wolfsburg mehr als 90 Prozent des VW-Personals der durchsetzungsstarken IG Metall angehören. Den 59-jährigen Osterloh macht das Gezerre um die Boni keine Freude: „Ich kann meine Kollegen verstehen, wenn sie den Kopf schütteln.“ Dabei steht noch nicht fest, ob und welche Prämie die deutschen Volkswagen-Mitarbeiter für 2015 bekommen sollen. Der Gewerkschafter hatte den Vorständen hier eine goldene Brücke gebaut: „Denn viele Volkswagen-Beschäftigte würden auf eine Prämie verzichten, wenn der Vorstand auch verzichtet.“ Doch die Chance haben Müller und seine Kollegen vertan.
Das Hickhack bei VW nimmt kein Ende, schließlich sagen, wie Osterloh verrät, jetzt viele Mitarbeiter: „Wenn die Top-Leute einen Bonus kriegen, wollen wir auch einen.“ Der Arbeitnehmer-Vertreter hat in erfolgreichen Winterkorn-Zeiten (und das waren viele satte Jahre) für Ruhe im Konzern gesorgt. Nun gibt er den Missmut von unten weiter, befürchtet er doch, dass VW im Zuge der Krise über Gebühr spart und tausende Arbeitsplätze abbaut.
Der Skandal hat mächtig an Osterlohs früher prächtigen Nerven gezehrt. Da rutschen einem Medien-Profi wie ihm Sätze raus, die er sich früher verkniffen hätte: „Ich könnte in diesen Tagen manchmal vor Wut in die Tischkante beißen.“
Dergleichen Beißreflexe sind von Müller nicht überliefert. Zumindest bei offiziellen Anlässen scheint der eher gemütliche Typ in sich zu ruhen. Im gleichmäßigen Singsang trägt Müller seinen Text bei der Pressekonferenz vor, als wolle er die Kritiker einschläfern.
Richtung Osterloh schießt er nur einen Giftpfeil ab. Er verstehe nicht, warum die Boni-Diskussion in die Öffentlichkeit getragen wird. Der derart Attackierte scheint generell Zweifel an den Fähigkeiten führender Manager zu haben. Osterloh wird mit dem Satz zitiert: „Die Vorstände gehen auch alle rückwärts auf die Toilette, wie jeder andere. Die haben ein Studium gemacht und viel Glück bei der Karriere gehabt.“
Müller scheint das nicht anzufechten. Er hat die Losung ausgegeben: „Wir lassen uns von der Krise nicht lähmen.“ In Wolfsburg selbst kann er sich auf viele treue Mitarbeiter verlassen. Sie tragen den Konflikt nicht weiter an die Öffentlichkeit.
Vor Tor Ost des Werkes scheinen Beschäftigte ein Presse-Abwehrseminar absolviert zu haben. Ein großer Mann mit Mütze antwortet auf die Bitte, die Stimmung im Werk zu schildern und die journalistische Arbeit zu unterstützen, mit genervtem Gesichtsausdruck: „Dann noch viel Spaß bei Ihrem Treiben und tschüss.“ Das geht so weiter an diesem Nachmittag.
Wortkarg gibt sich die VW-Familie. In Wolfsburg scheint die berühmte Wagenburg noch zu stehen, zumindest gegenüber den Medien. Später gibt dann ein auffällig gut gelaunter Volkswagen-Mann tiefere Einblicke in das Seelenleben der Beschäftigten, ja der Menschen in Wolfsburg.
„Die nehmen den Skandal persönlich und verübeln es Verantwortlichen, ihnen das alles als VW-Fahrer und Mitarbeiter eingebrockt zu haben.“ Ein Taxi-Fahrer bestätigt das. Alle erzählten, sagt er, dass jetzt überall gespart werde und die guten Zeiten vorbei seien.
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