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Prozess in Aichach: Fußgänger (86) stirbt bei Unfall: Fahrerin (21) verurteilt

Prozess in Aichach

Fußgänger (86) stirbt bei Unfall: Fahrerin (21) verurteilt

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    Das Amtsgericht in Aichach (Kreis Aichach-Friedberg).
    Das Amtsgericht in Aichach (Kreis Aichach-Friedberg). Foto: Christian Kirstges (Symbolbild)

    Es sind noch wenige Tage bis Heiligabend. Ein 86-Jähriger bringt am frühen Nachmittag zu Fuß die Weihnachtspost weg. Seine Frau, die Geburtstag hat, wartet daheim vergeblich auf ihn. Er kehrt nicht zurück. Vor der Justizvollzugsanstalt in Aichach prallt er ins Auto einer 21-Jährigen. Wenig später stirbt er im Aichacher Krankenhaus.

    Dieser Tag hebt das Leben von zwei Aichacher Familien aus den Angeln. Die eine muss zur Beerdigung, während überall die Bescherung vorbereitet wird. Die andere muss eine junge Frau auffangen, die auf dem Weg zur Arbeit plötzlich in einen tödlichen Unfall verwickelt ist.

    Autofahrerin war „fertig mit den Nerven“

    Die Autofahrerin erhielt danach einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung und hätte 3000 Euro Geldstrafe bezahlen müssen. Weil sie Einspruch einlegte, kam es gestern zur Verhandlung am Amtsgericht Aichach.

    Es war bereits der zweite Anlauf, nachdem der Gutachter beim ersten Mal im Januar einräumen musste, falsch gerechnet zu haben. Auch gestern trug er wenig Erhellendes bei. Die Angeklagte erschien – anders als damals – nicht im Gerichtssaal. Dort mühten sich die Beteiligten, den Hergang des Unfalls nachzuvollziehen. Vergeblich, denn niemand hatte ihn gesehen.

    Die wenigen Zeugen, die es gab, waren erst kurz danach hinzugekommen. Einer sah den 86-Jährigen noch durch die Luft fliegen. Nur einen Moment später lag dieser neben seinem zerbrochenen Gehstock auf der Straße. Ärzte und Polizei waren in wenigen Minuten da. Der Mann starb – für die Ärzte überraschend – Stunden später. Die Autofahrerin war „fertig mit den Nerven“, wie sich ein Polizist vor Gericht erinnerte.

    Die Polizei schaltete den Gutachter erst ein, als mit dem Tod des 86-Jährigen die Tragweite des Falles klar wurde. Deshalb sah er erst am Tag danach die Unfallstelle. Das Auto der 21-Jährigen stand da schon wieder bei ihren Eltern. Sie sagte auf Anraten ihres Anwalts nichts mehr. Ihre wenigen Sätze am Unfallort durfte das Gericht nicht verwenden, weil die Polizei sie damals nicht über ihre Rechte belehrt hatte. Sie hätten dem Gericht wohl auch nicht geholfen. Die Frau hatte nicht einmal gesehen, woher der Mann gekommen war. Er sei plötzlich da gewesen, hatte sie dem Polizisten gesagt.

    Staatsanwalt fordert Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung

    Verteidiger Florian Englert bat, das Verfahren einzustellen. Richterin Beate Schauer und Staatsanwalt Hans-Peter Dischinger lehnten das ab. Mehrfach gerieten Verteidiger und Staatsanwalt aneinander. Der Gutachter musste sich angesichts vieler unbekannter Faktoren fast ausschließlich auf Richtwerte berufen. Wie schnell der gehbehinderte 86-Jährige gelaufen war, ob die Straße trocken oder doch feucht gewesen war, ob die Fahrerin vor dem Unfall gebremst hatte und ausgewichen war – all das konnte er nicht mit Sicherheit sagen. Fest stand: Die Frau war nicht zu schnell gefahren.

    Der Staatsanwalt sagte: „Ich gehe davon aus, dass (...) der Unfall für die Angeklagte vermeidbar war.“ Die Strecke sei gerade, die Sicht und die Straßenverhältnisse seien gut gewesen. Er schloss zwar eine Mitschuld des Fußgängers nicht aus. Dennoch forderte er, die Frau wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 30 Euro (3600 Euro) zu verurteilen.

    Nikolaus Thoma, Anwalt der Nebenklage, schloss sich dem an. Er sagte: „Wenn sie nur etwas geschaut hätte, wäre der Unfall vermeidbar gewesen.“ Zu den Eltern, die im Zuhörerraum saßen und immer wieder weinten, sagte er: „Hier im Gerichtssaal hat sich Ihre Tochter zu keinem Zeitpunkt ihrer Verantwortung gestellt.“ Das wiesen die Eltern zurück. Der Vater erzählte, wie seine Tochter unter Tränen ein Beileidsschreiben an die Familie des 86-Jährigen verfasst habe. Bis heute sei sie in psychologischer Behandlung.

    Verteidigung: Annahmen "willkürlich"

    Der Verteidiger forderte Freispruch: Es sei Aufgabe des Gerichts, Schuld sicher nachzuweisen. Hier aber gebe es zu viele Variablen. Die Annahmen der Staatsanwaltschaft, etwa zum Gehtempo des Mannes, seien „willkürlich“.

    Die Richterin verurteilte die nicht vorbestrafte Frau wegen fahrlässiger Tötung zu der Geldstrafe, die der Strafbefehl vorgesehen hatte. Der Unfall könne jedem passieren, sagte sie. „Natürlich wollte sie das nicht.“ Aber: „Ich bin überzeugt, dass es ein Fehlverhalten war.“ Die Fahrerin habe nicht aufgepasst. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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