Als Hermann Göring Häftling im Bärenkeller war
Führende Nazis wie Hermann Göring hielten sich 1945 im amerikanisch besetzten Augsburg auf. Klaus Barbie heuerte beim US-Geheimdienst an und machte aus alten Nazis neue US-Spione.
Hermann Göring, Joachim von Ribbentrop, Klaus Barbie: Die Führungselite der Nationalsozialisten machte während der amerikanischen Besatzung Station in Augsburg. Ex-Stadtrat und Hobbyhistoriker Hans Grimminger aus dem Bärenkeller besitzt jene Ausgabe der militärhistorischen britischen Zeitung After the battle, in der Fluchtweg und Gefangennahme des Gestapo-Gründers Hermann Göring dokumentiert sind.
Demnach nahmen die Amerikaner Göring zwei Tage nach der deutschen Kapitulationserklärung am 10. Mai 1945 in Kitzbühel fest und flogen ihn nach Augsburg, zum Hauptquartier der 7. US-Armee aus. „Die Amerikaner hatten die heutige Bärenkeller-Schule und große Areale an Amsel- und Drosselweg beschlagnahmt und in der Schule das Verhörzentrum eingerichtet“, berichtet Grimminger. Dort wurde der ehemalige Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe zehn Tage lang von den amerikanischen Militärspezialisten befragt, bevor sie ihn am 21. Mai in ein Sammellager für ehemalige Nazigrößen nach Belgien brachten.
Im August wurde er in Nürnberg als die Nummer eins auf der Liste der NS-Kriegsverbrecher zum Tod durch den Strang verurteilt. Göring nahm sich zwei Stunden vor der Hinrichtung selbst das Leben.
In Augsburg wurde dieses Bärenkeller-Intermezzo erst 1983 bekannt. Ein französischer Journalist recherchierte die Herkunft eines Fotos, auf dem Göring, Hitlers engster Vertrauter und Erfinder der Konzentrationslager, während der Internierung zu sehen war.
Die Häuser im Bildhintergrund identifizierten aufmerksame Leser nach einem Aufruf der Augsburger Allgemeinen als Gebäude im Lerchenweg, Ecke Bärenstraße. Zudem meldeten sich Augenzeugen, die Göring durch einen Zaun auf dem Schulgelände beim Spaziergang beobachtet hatten.
Die gesamte NS-Prominez war da
Auch Joachim von Ribbentrop, ehemaliger Außenminister und 1945 als einer der 24 Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg angeklagt, wollten Leser in dem abgeschirmten Garten gesehen haben. Ribbentrop wurde im August 1945 gehenkt. Wenig bekannt ist, dass die Amerikaner auch Ehefrauen und Witwen der nationalsozialistischen Elite in Augsburg unterbrachten: Emmy Göring saß hier ebenso wie Luise Fink, Frau des Reichswirtschaftsministers, Ilse Hess, Frau des Hitler-Stellvertreters, und die berüchtigte Ilse Koch, liiert mit dem KZ-Kommandanten von Buchenwald. Sie warteten auf ihre Spruchkammerverfahren, die, wie bei so vielen Tätern und Nutznießern des „Dritten Reichs“, nachsichtig ausfielen.
Zu Unrecht? Im Jahr 2004 veröffentlichte eine Historikerin Forschungsergebnisse zum Frauen-VIP-Lager an der Friedrich-Ebert-Straße: Zur Sonnenwendfeier erklangen Nazilieder. Hakenkreuze und Hitlerbilder schmückten die Unterkünfte.
Spannender noch ist die Akte Klaus Barbie, die der CIA erst 2006 freigab. Der SS-Hauptsturmführer und ehemalige Gestapo-Chef von Lyon („Schlächter von Lyon“) stand schon vor Kriegsende auf der Fahndungsliste der Vereinten Nationen. Dennoch konnte er 1945 in Hessen und ab 1948 in Augsburg untertauchen, bevor er 1950 wie viele ehemalige Nazi-Größen von US-Geheimdiensten über die sogenannte „Rattenlinie“ nach Bolivien geschleust wurde.
In Augsburg – das recherchierte der Historiker Peter Hammerschmidt 2013 – wohnte er ab Juni 1948 im ersten Stock eines Zweifamilienhauses in der Mozartstraße 10 in Stadtbergen. Eine ehemalige Nachbarin bestätigte dem Wissenschaftler, dass das Haus von den Amerikanern beschlagnahmt und umgebaut worden war. Barbie und seine Agenten – wie der ehemalige SS-Kamerad aus Frankreich, Kurt Merk – waren oft im Dunkeln beim Gartenspaziergang zu sehen, so die Nachbarin Helene Ullrich.
Geld und Zigaretten aus München
Das „Büro Peters“ wie die beiden ihre Filiale der Region IV Süd des US-Militärgeheimdienstes Counter Intelligence Corps (CIC) nannten, richteten sich die beiden Nazis direkt neben dem Augsburger Stadtbad im ersten Stock der amerikanischen Militärverwaltung ein. Das zuständige CIC-Kommando in München schickte monatlich 10.000 DM für die Informanten und zwei Sekretärinnen plus Zigaretten im Wert von 800 DM. 1700 Dollar soll Barbie selbst monatlich erhalten haben.
Die beiden Kriegsverbrecher bauten von Augsburg aus einen „gut organisierten SS-Untergrund“ auf, so Hammerschmidt. Ihr deutschlandweites Netzwerk aus ehemaligen Kriegs-, Gestapo- und SS-Kameraden spionierte gegen die Sowjets, bespitzelte aber auch französische und britische Geheimdienste in der amerikanischen Besatzungszone.
„Agent X-3054“, Barbie selbst, hatte die Anweisung, die Kommunistische Partei in Augsburg zu „infiltrieren“. Brisant: Von seinem Büro neben dem Stadtbad aus arbeitete Barbie auch für die „Organisation Gehlen“, aus der 1956 der Bundesnachrichtendienst hervorging. Bereits 1949, so Hammerschmidt, der erstmals die BND-Akte Barbie einsehen durfte, wussten die Pullacher also von dem Augsburger Büro des Kriegsverbrechers, unternahmen aber nichts.
Am 11. April 1949 endete die Augsburger Episode. Die Amerikaner lösten das Barbie-Büro auf und schleusten den international gesuchten Kriegsverbrecher mit falschen Papieren als Klaus Altmann nach Bolivien. Erst Jahrzehnte später, in denen er monatlich 500 D-Mark vom BND erhielt, wurde er dort enttarnt und 1983 in Frankreich zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Barbie starb 1991 im französischen Gefängnis an Krebs.
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